Unterland
Großmutter?«, wollte Frau Larsen wissen und kam näher; sie kannte, ich hätte darauf wetten können, selbstverständlich sofort ein halbes Dutzend Familien mit dem Namen Globke.
Ich nahm meine Krücken, stand auf und bewegte mich so lässig wie möglich an der Grundstücksgrenze entlang zum Weg zwischen den Gärten. »Alice, pass doch auf, jetzt stichst du uns Löcher ins Beet!«, beschwerte sich Leni, bevor sie merkte, wohin ich unterwegs war. Wie ein Reh, das aus einer Wiese lugt, reckte sie den Kopf und verfolgte ängstlich jede meiner Bewegungen.
Die Heiterkeit der Larsens nahm rapide ab, als ich mich ihrem Grundstück näherte. »Verschwinde, Tock-tock«, fauchte Sigrid mich an.
»Sigrid Larsen!«, rief ihre Mutter perplex.
»Denkst du daran, was wir noch vorhaben, Wim, oder soll ich allei n …?«, fragte ich, sämtliche Larsens komplett ignorierend.
»Nein, nein, ich komme«, antwortete Wim sofort.
Die Larsens sahen ihn verdutzt an. Was willst du denn mit de r …?, stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Aber keine konnte überraschter sein als ich. Ich war keineswegs sicher gewesen, dass Wim mitkommen würde, im Gegenteil, im tiefsten Inneren war ich darauf vorbereitet, ihn sagen zu hören: »Humpel doch schon mal voraus!«
Ich hätte kein Spielverderber sein wollen, ich wäre auch allein gegangen.
»Habt ihr sie gerade Tock-tock genannt?«, fragte Wim.
Die Hexen schwiegen betreten.
»Warum?«, wollte Wim wissen.
»Komm, Wim, ist doch egal«, sagte ich verlegen.
»Weil sie in einen Fliegerangriff geraten ist und ihr nicht?«, fragte Wim.
»Weil unser Lehrer das auch immer sagt«, antwortete Sigrid patzig.
»Aha. Und ihr plappert alles nach, was der Lehrer sagt, ja? Zwei und zwei macht fünf. Drei mal drei macht zwölf?«
»Jetzt ist es aber gut, junger Mann«, sagte Frau Larsen. »Keine Predigten! Du entschuldigst dich, Sigrid, und dann gebt ihr euch die Hand.«
»Nein, danke«, erklärte ich, froh dass die Klarheit der Verhältnisse wiederhergestellt war.
Immer noch paffend, schlenderte Wim an mir vorbei aus dem Larsen-Garten.
»Wusste ich’s doch«, sagte er. »In dieser Schule verpasse ich nichts.«
Wim bat, es ihm nicht übel zu nehmen, er wolle versuchen, uns an Saaten, Drähten oder Werkzeug zu besorgen, was er könne, aber Gartenarbeit sei nun einmal nichts für ihn und auch Lou wüsste, sobald sie ihren Fuß wieder auf freie Erde setzte, sicher Besseres, als auf den Knien darauf herumzurutschen.
»Unser Beitrag«, gab er mir zu verstehen, »wird wohl eher in materieller Unterstützung als in geleisteten Arbeitsstunden bestehen.«
»Ich bin sicher, das geht in Ordnung«, sagte ich verdutzt.
Auf Tock-tock und die Larsens ging er mit keiner Silbe ein, wofür ich ihm dankbar war, denn ich war noch keineswegs sicher, was ich von seinem Einsatz für mich halten sollte. Die Entscheidung, sich auf die Seite der Benachteiligten zu schlagen, rechnete ich ihm hoch an, aber das entstandene Aufheben war für die Benachteiligte gleichwohl ein wenig peinlic h – oder wäre es gewesen, wenn er noch etwas dazu gesagt hätte!
Zum Glück schien die Sache für ihn erledigt, sobald wir auf der Straße waren.
»Ich glaube, auch ich eigne mich besser für andere Aufgaben«, gestand ich.
Wim grinste. »Gut dass du wieder draußen bist, Alice«, sagte er und für den Rest des Weges krückte ich nicht, da schwebte ich neben ihm her.
Nicht nur der Garten, das ganze Viertel schien sich in nur vier Wochen verändert zu haben. Lag es daran, dass es fast Sommer war und selbst die Trümmer in diesem Licht einfach fröhlicher aussahen? Moos, Efeu und kleine Wildblumen begannen die Ruinen zu bewohnen, an einer Hauswand waren dunkelrote Kletterrosen wieder lebendig geworden, zwischen abgebrochenen Giebeln und durchlöcherten Dächern zogen Mauersegler ihre Brut auf.
In der Schule hatte es nicht gerade ein großes Hallo gegeben, als ich an diesem Morgen wieder aufgetaucht war. Nur Graber hatte es auf seine Weise zur Kenntnis genommen, indem er mich ein ums andere Mal aufrie f – allem Anschein nach, um zu überprüfen, ob ich während der letzten vier Wochen meine Aufgaben gemacht hatte, aber ich hätte ihm auch zugetraut, mich einfach so oft wie möglich aufstehen lassen zu wollen.
Während meiner Abwesenheit waren wieder Schulbücher verteilt worden, jeweils eins für jede Dreierbank, die wir zwecks Hausaufgaben nachmittags untereinander auszutauschen hatten. Henry und ich hatten es leicht, wir
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