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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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und stellte sich vor; unscheinbar, wie er war, trat er doch auf als ein Mann, der ganz offensichtlich vorhatte, von nun an öfter, wenn nicht gar regelmäßig zu kommen. Man hatte ihm die Forschheit so wenig zugetraut, dass man ihr umso mehr Anerkennung zollen musste, zumal sich Herr Helmand in seiner Aufmerksamkeit sogar bereits über uns informiert zu haben schien: Er wusste genau, wer Mem, wer Frau Bolle und wer die Wranitzky war, dass er Frau Kindler mit einem altmodischen Handkuss erfreuen würde und Ooti mit der Mitteilung, Helgoland zwar leider nicht zu kennen, in der guten alten Zeit aber viele Sommer nebenan auf Wangerooge verbracht zu haben.
    Wim, der ihm wie ein Schatten im Rücken klebte, folgte gebannt jedem dieser kleinen Zusammentreffen. Vielleicht hatte er Angst, Herr Helmand könnte etwas Falsches sagen, vielleicht im Nachhinein auch nur ein schlechtes Gewissen, weil er ganz offensichtlich über uns geplaudert hatte! Was mich betraf, so hätte er sich die Sorge sparen können: Das Auftreten Herrn Helmands sprach in meinen Augen nicht nur für dessen eigene, sondern ohne jeden Zweifel auch für die Klugheit von Wim, dem es gelungen sein musste, hinter der bescheidenen Fassade den wahren Wert des Mannes zu erkennen.
    Ich konnte nicht anders, ich nickte Wim zu, und ich freute mich zu sehen, wie er meinen Blick erwiderte.
    Der Mann ist in Ordnung, oder?
    Völlig in Ordnung, du hattest Recht!
    Nora stand unterdessen etwas abseits und hatte ein halb abweisendes, halb abwesendes Lächeln aufgesetzt. Sie tat mir fast leid; der ganze Zweck des Besuchs von Herrn Helmand wurde durch seinen selbstbewussten Auftritt so durchsichtig wie Fenstergla s – und musste ähnliche Gefühle in ihr wecken wie an jenem Abend vor fast vier Monaten, als schon einmal bei Wollanks durch die Scheibe geschaut worden war. Als sich endlich die Tür hinter Nora, Wim und Herrn Helmand schloss, war ich um ihretwillen auch ein wenig erleichtert.
    Zurück blieb ein unleugbarer Geruch nach Schimmel, ich sah Frau Bolle diskret schnüffeln und fühlte mich bewogen zu rechtfertigen: »Er wohnt im Hochbunker.«
    »Nicht mehr lange, möchte ich wetten«, schnarrte die Wranitzky mehrdeutig.
    Mem legte den Finger an die Lippe n – und das Seltsamste geschah, was der Kiekebuschweg je erlebt hatte. Wie Verschwörerinnen huschten sie miteinander in die Küche, Mem, Ooti, Frau Bolle und die Wranitzky, ja selbst Frau Kindler wollte mit einem Mal dazugehören, legte sich einen Schal um die Schultern und pantoffelte eilig an mir vorbei die Treppe hinunter.
    Unten war Henry, der Herrn Helmands Willkommenstour nicht gefolgt war, damit beschäftigt, den Inhalt unserer Tommy-Tüte aufzuwärmen. An diesem Tag gab es Reis, Gemüse und die Reste eines süßen Kompotts, die er im Topf kurzerhand miteinander verrührt hatte; wir machten es meistens so, weil sich das Essen dadurch am gerechtesten teilen ließ. Henrys Augen wurden riesengroß, als e r – die Wranitzky vornewe g – sämtliche Hausbewohner gleichzeitig in die Küche drängen sah; er legte den Deckel auf den Topf, stellte sich schützend vor den Herd und blieb dort, selbst als er merkte, dass niemand uns das Essen streitig machen würde.
    Ein übereinstimmendes Wohlwollen war den Frauen abzuspüren, gepaart mit der völligen Abwesenheit von Nei d – das bescheidene Äußere von Herrn Helmand erwies sich im Hinblick auf den Hausfrieden als glücklich, als nahezu ideal. Alle waren sich einig, dass er zwar nicht wie jemand wirke, von dem eine Frau wie Nora geträumt haben könne, aber gegenüber einem Traum einen unschätzbaren Vorteil habe: Er sei echt.
    Die Wranitzky scherzte: »Wir zwei sollten uns vielleicht auch mal im Bunker umsehen, Frau Bolle!«
    Frau Bolle hielt sich die Hand vor den Mund und gluckste. Unbehaglich stellte ich fest, dass sie keine Ahnung hatte, wo ihre Töchter den Tag verbrachten, wo sie sich vielleicht sogar just in dieser Minute aufhielten!
    »Nichts für ungut, Frau Kindler«, fügte die Wranitzky hinzu, »aber endlich wieder ein Mann im Haus.«
    Frau Kindler rollte die Augen. »Ich weiß genau, was Sie meinen, Frau Wranitzky.«
    Verräterin, dachte ich entrüstet, obwohl mir selbst erst jetzt auffiel, dass wir den armen Leo an diesem Abend noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Vielleicht hatte Wim ihm seine Verabredung mit »dem Persilschein« besorgt.
    Dafür war erstmals seit Monaten wieder Gelegenheit, Frau Kindler aus der Nähe zu betrachten. Die lange Zeit im

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