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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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das wir eingenommen hatten, gut verteilt auf sämtliche Hosentaschen. Gustav mochte kaum glauben, dass noch nie jemand den Versuch unternommen hatte, uns zu bestehlen; es könne nur an meinen Krücken liegen, meinte er. Wann immer diese zu etwas gut waren, sollte es mir recht sein.
    An Wims schiefem Grinsen erkannte ich sofort, dass eine weitere Enthüllung bevorstand. »Ehrlich gesagt«, gab er zu, »habe ich dem armen Leo aus einem ganz anderen Grund geholfen. Wir bekommen Besuch und ich habe keine Lust auf das Gekreisch von nebenan.«
    »Besuch?«, wiederholte ich.
    Ich ahnte gleich, von wem er sprach; ich hatte mich schon gefragt, wann er damit herausrücken würde, und war erleichtert, dass es endlich so weit war.
    »Ein alter Bekannter meiner Eltern lebt in der Stadt«, verriet Wim. »Er heißt Richard Helmand und e r …«
    Ich sah ihn fragend an. Wim senkte die Stimme. »Du behältst das für dich, ja? Kein Wort zu meiner Mutter! Herr Helmand könnte derjenige sein, der uns nach Südamerika bringt.«
    Es versetzt mich immer wieder in Erstaunen, wozu der menschliche Körper in Notlagen imstande ist. Obwohl mir das Herz stehen blieb, war ich in der Lage, schnippisch zu antworten: »Hat Nora da nicht ein Wörtchen mitzureden?«
    »Mein Vater ist seit über zwei Jahren tot«, erwiderte Wim.
    »Du meinst, sie soll den Mann heiraten«, stellte ich klar. »Sag das doch gleich.«
    Wim wirkte überrascht, aber erfreut, dass ich so sachlich reagierte.
    »Jedweder Tipp, wie man bei einer Dame ankommt, ist willkommen. Herr Helmand ist ein alter Junggeselle.«
    Von meinem linken Bein abgesehen, habe ich wahrhaftig keinen Grund, über die Zusammenarbeit mit meinem Körper zu klagen. Noch während ich dachte: Von einer nicht sehr wahrscheinlichen Heirat bis nach Südamerika ist es ein weiter, weiter Weg!, hörte ich mich schon völlig überzeugend sagen: »Wenn er nett ist, helfe ich gern. Aber ich will nicht hoffen, dass du den Erstbesten für Nora akzeptierst, bloß weil er gerade in der Stadt ist.«
    Wim sagte nichts, griff jedoch nach meinem Oberarm und drückte ih n – nicht kumpelhaft, wie ein Junge den anderen knufft, sondern er ließ seine Hand tatsächlich ein, zwei, wenn nicht gar drei Sekunden dort. Als ich später nachsah, war ich ein klein wenig enttäuscht, weil ich mir eingebildet hatte, man müsste der Stelle doch irgendetwas anmerken.
    »Woher willst du wissen, dass er der Richtige ist?«, fragte ich.
    »Er kannte meinen Vater.« Wim hob die Schultern. »Das ist für den Anfang nicht schlecht. Lou hat sich gefreut, ihn wiederzusehen.«
    »Ach, sie hat ihn schon getroffen?«
    »Ja, gleich an ihrem ersten Abend. Wir haben einen Spaziergang gemacht und rein zufällig wusste ich es so einzurichten, dass uns Herr Helmand über den Weg lief.« Wim drehte die Handflächen nach oben und grinste. »Ich freue mich, dass du meinen Plan nicht für anstößig hältst, Alice. Mit wem Lou sich zusammentut, betrifft schließlich auch mich, also kann ich ihr genauso gut beim Aussuchen helfen.«
    »Das wird schwer«, erwiderte ich und setzte in der Hoffnung auf einen weiteren Armdrücker hinzu: »Nora ist etwas ganz Besonderes.«
    Wim versprach, was rein perspektivisch immerhin das Nächstbeste war: »Ich halte dich auf dem Laufenden.«
    So skeptisch ich dem Gelingen seines Plans gegenüberstan d – nicht weil ich Vorbehalte gegen den unbekannten Herrn Helmand hatte, sondern weil Nora mir viel zu eigenwillig erschien, um überhaupt Bestandteil eines Plans sein zu könne n –, so uneingeschränkt fand ich mich auf Wims Seite wieder und sah dem Besuch des Kandidaten kaum weniger gespannt entgegen als er. Ich war nicht einmal sonderlich enttäuscht, dass Herr Helmand sich als völlig unspektakulär herausstellt e – ein schmaler, vorzeitig ergrauter Herr mit Brille; etwas anderes, als mir damals aus der Ferne bereits aufgefallen war, konnte ich auch aus der Nähe nicht erkennen.
    Seine Stimme indes war angenehm, und unwillkürlich nahm mein Kopf den Pluspunkt auf und multiplizierte ihn, sodass er einen anderen Eindruck mehr als aufwog: Man musste Herrn Helmand schon ziemlich genau ansehen, um sich sein Gesicht einzuprägen, das man andernfalls eine Stunde später schon wieder vergessen haben würde.
    Eine Überraschung, die ebenfalls zu seinen Gunsten gewertet werden konnte, war, dass er beim ersten Besuch im Haus die Runde machte und jeden begrüßte. Richard Helmand, Kontorist, ehedem Prag klopfte zielstrebig an jede Tür

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