Unterland
sodass Ooti, Henry und ich uns gut darauf vorbereitet fühlten, als wir über die Schwelle traten. Für die Wranitzky galt das weniger. Bereits an der Schranke schien sie völlig überwältigt, dass man sie wirklich durchließ, und im Haus angekommen hörte sie mindestens fünf Minuten nicht auf, verstört zu nicken.
Da es keinen Hintereingang für Dienstboten gab, durften wir durch die reguläre Haustür hinein und ich wusste, dass wir, wenn wir an den zahlreichen Landschaftsgemälden vorbei die große Treppe hinaufgegangen wären, zur Linken auf die Räume von Captain Musgrave und seiner Frau und zur Rechten auf den Trakt gestoßen wären, in dem Captain Downs, seine Gattin und in einem Zimmer am Ende des Gangs Captain Sullavan wohnten.
Aber natürlich gingen wir nicht hinauf. Mr s Musgrave erwartete uns bereits in der Küche, ein Gläschen Sherry in der einen und den Ablaufplan für ihr Gartenfest in der anderen Hand. »Hello, Wilma«, begrüßte sie meine Mutter und behauptete: »Nice to meet your family«, aber in Wirklichkeit war sie bereits ziemlich nervös wegen des Festes und merkte nicht, dass Mem uns auch einzeln vorgestellt hätte, wenn sie dazu aufgefordert worden wäre.
Verstohlen ließ ich den Blick schweifen über einen Gasherd, einen Elektroherd und einen Kohleofen. Es gab Schränke voller Töpfe und Geschirr, gleich zwei Waschbecken und am Fenster einen geräumigen Arbeitstisch mit Bank und Stühlen. Das also war Mems Reich! Den ganzen Tag konnte sie in diesem großen, warmen Raum verbringen, ohne dass jemand stritt oder sie aus dem Konzept brachte. Kein Wunder, dass sie immer später nach Hause kam.
»Sure you got everything under control?«, fragte Mr s Musgrave und begutachtete ihren Arbeitstrupp mit allen Anzeichen des Zweifels. Er bestand aus einer alten Dame, einer Dame ohne Vorderzähne und zwei Kindern, davon eins auf Krücken. »You sure?«, wiederholte sie noch eine Spur besorgter, worauf Mem behauptete, wir vier seien im Gemüseschneiden schnell wie der Wind.
In den nächsten Stunden taten wir alles, um dies unter Beweis zu stellen, pulten Erbsen, rieben Möhren, viertelten Tomaten, hackten Zwiebeln, Paprika und Speck. Die Wranitzky, die mir gegenübersaß, verschwand hinter zwei riesigen Töpfen und schälte Kartoffeln, als hinge ihr Leben davon ab.
»Frau Wranitzky«, staunte Mem, »Ihre Hand ist ja schneller als ein Vorschlaghammer!«
»Lege n … Si e … ruhi g … ei n … Wor t … fü r … mic h … ein«, hämmerte die Wranitzky, um ihr Tempo zu halten.
Die Wranitzky kam nämlich nicht nur wegen der Bezahlung mit, die wir am Ende des Tages erhalten sollten. Die Wranitzky machte sich Hoffnungen, dass einer der Gäste des Gartenfestes auf den Gedanken kommen könne, ebenfalls eine Haushälterin zu brauchen; sie malte sich aus, dass Mem, wenn der Tag gut verlief, von »ihrer Herrschaft« vielleicht gefragt werden würde, ob sie jemanden empfehlen könnte. Die Wranitzky legte sich doppelt ins Zeug, um sowohl Mem als auch die Gastgeberin zu beeindrucken.
Dabei war der Tag, als Mem die Speisekammer öffnete, für die Wranitzky beinahe schon wieder vorbei gewesen, denn sie hatte einen leichten Schwächeanfall erlitten. Auf den Regalen an der rechten Wand standen zwei Dutzend Konservendosen und Gläser mit eingewecktem Obst und Gemüs e – nicht viel an der Anzahl der vorhandenen Regale gemessen, aber doch mehr, als man aus dieser Nähe normalerweise zu sehen bekam. An der linken Wand befanden sich eine Kühltruhe, fast zur Hälfte gefüllte Schütten für Kartoffeln und Zwiebeln und mehrere Drahtkörbe mit Frischgemüse.
Der Duft in der Speisekammer war so berückend, dass jeder von uns auf der Stelle dort eingezogen wäre, und auch wir, die weniger hungrig waren als die Wranitzky, hatten erst einmal schlucken müssen.
»Denkt nicht, es sähe hier immer so aus!«, beeilte sich Mem zu versichern. »Das ist nur wegen des Festes. Geht’s wieder, Frau Wranitzky?«, fragte sie besorgt.
Die Wranitzky saß am Tisch, weit entfernt von der Speisekammer, und nickte schwach, aber Mem griff, nachdem sie die Aufgaben verteilt hatte, vorsichtshalber lieber selbst in die Schütten und Körbe, um unsere jeweiligen Eimer zu bestücken. Es sollte eine Erbsensuppe geben, Fleisch vom Grill, ein Salatbüfett und zum Nachtisch Obstsalat und Eis. Unter Fleisch vom Grill stellte ich mir Koteletts und Würstchen vor, aber am Nachmittag schleppte tatsächlich jemand ein armes totes Ferkel in die
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