Unterm Kirschbaum
die Türklinke, die er eben nach unten gedrückt hatte, noch einmal los. »Ah, ja … Wie standen denn die beiden zueinander?«
Rönnefahrt zögerte ein wenig, um dann mit Nachdruck zu erklären, dass die Ehe hundertprozentig intakt sei.
Schneeganß ahnte, dass ihm der andere etwas verschwiegen hatte, etwas, das Sandra Schulz betraf. Sollte Schulz nicht mehr auftauchen, war sie seine Chefin, und er wollte nicht gefeuert werden.
Als sie wieder auf dem Parkplatz standen, sah Schneeganß seinen Kollegen an: »Sag mal, Gisbert, was kann man in einer mittelständischen Firma wie der von Schulz wohl zu verbergen haben?«
Hinz nieste kräftig. »Wahrscheinlich eine Allergie.«
»Wieso soll man eine Allergie verbergen wollen?«
»Nein, meine Allergie«, erklärte ihm Hinz. »Beifuß.«
Schneeganß rang die Hände. »Hast du nicht bemerkt, wie dieser Rönnefahrt ins Schwimmen gekommen ist, als ich ihn nach der Beziehung zwischen Schulz und dessen Frau gefragt habe …?«
Hinz schnäuzte sich umständlich. »Doch, habe ich. Scheint so, als hätte einer von beiden ein Verhältnis, Schulz mit einer Frau oder sie mit einem anderen.«
»So ist es, und darum freue ich mich schon auf das Gespräch mit Sandra Schulz.« Schneeganß schloss die Tür ihres Dienstwagens auf. »Wie kommen wir denn am besten zum Sandwerder, du bist doch alter Berliner …?«
Hinz gähnte anhaltend und klagte dann über ein unerklärliches Ziehen im linken Oberkiefer. »Ich glaube, unter meiner Krone fault mir der Zahn weg. Wie wir nach Wannsee kommen …? Tja, entweder auf der Stadtautobahn bis Halensee und dann auf der Avus runter nach Wannsee oder Sachsendamm auf die A 103, auf der bis Rathaus Steglitz und dann weiter auf der Route Unter den Eichen, Potsdamer Chaussee …«
»Und was ist besser?«
Hinz stöhnte. »Keine Ahnung. Man müsste es ausprobieren. Mit zwei Wagen, der eine fährt so rum und der andere anders rum, und dann sehen wir, wer zuerst da ist.«
»Und wo bekommen wir den zweiten Wagen her?«, fragte Schneeganß.
»Vielleicht leiht uns Auto-Schulz einen …«
Langsam wurde Schneeganß ungeduldig. »Nun komm schon, wir fahren über die Avus, nur Autobahn ist mir lieber als die Strecke mit den hundert Ampeln.«
*
Als sie die Villa am Wannsee erreicht hatten, war Hinz so müde, dass er meinte, ohne einen kleinen Spaziergang am Wasser nicht einsatzfähig zu sein.
»Okay«, sagte Schneeganß. »Und wenn wir Glück haben, wird gerade Schulz’ Leiche angeschwemmt.«
Nachdem sie sich eine gute halbe Stunde lang erholt hatten, klingelten sie. Ein Namensschild gab es nicht, man musste die Hausnummer kennen. Sie warteten. Offenbar galt es als vornehm, nicht zur Gegensprechanlage zu rennen, sondern Besucher ein wenig warten zu lassen. Endlich knackte und rauschte es.
»Die Herren von der Kripo?«, kam es von oben herab.
»Ja …« Schneeganß staunte. Offenbar schienen die Buschtrommeln gut zu funktionieren. »Woher wissen Sie das?«
»Ich sehe Sie auf dem Bildschirm hier.«
Schneeganß blickte sich um, konnte aber keine Videokamera erkennen. Wahrscheinlich steckte sie in dem Nistkasten, der zehn Meter von ihnen entfernt am Stamm einer Birke hing.
»Kommen Sie …«
Ein Summer ertönte, die Tür sprang auf. Während sie den Weg zum Haus entlanggingen, erschien oben im Hauseingang eine mondäne junge Frau, von der Schneeganß sofort annahm, dass es Schulz’ Geliebte war. Seine Ehefrau stellte er sich als 50-jährige Matrone vor.
»Wir hätten gern Frau Schulz gesprochen«, sagte Hinz.
»Das bin ich höchstpersönlich.« Die vermeintliche Geliebte grinste.
Schneeganß kam gegen seine Impulse nicht an und sah sich sofort mit Sandra Schulz in seiner Lieblingsstellung koitieren: wie sie, nur den Slip ausgezogen und das Kleid hochgeschoben, auf ihm kniete und zu einem wilden Ritt ansetzte.
»Sie kommen wegen meinem Mann?«, fragte Sandra Schulz.
»Wegen Ihres Mannes, ja.« Schneeganß war derart befangen, dass er nicht anders konnte, als den Oberlehrer zu spielen. »Hat er sich inzwischen bei Ihnen gemeldet?«
»Nein. Aber kommen Sie erst einmal rein …«
Sie führte die beiden Kriminalbeamten in ein Wohnzimmer, wie es andere Menschen nur im Film zu sehen bekamen. Aber das war ja das Schöne an ihrem Beruf, dass sie so etwas auch in Wirklichkeit erleben durften. Schneeganß wusste das zu schätzen und freute sich über jeden Mord im Bereich der Upperclass. Aber noch stand nicht fest, dass Schulz ermordet worden
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