Unterm Kirschbaum
werden wir mal wieder …« Schneeganß erhob sich. »Wir bleiben in Kontakt, Frau Schulz. Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, dann …« Auch ihr überreichte er sein Kärtchen. »Und vor allem: Rufen Sie uns sofort an, wenn sich jemand mit einer Lösegeldforderung bei Ihnen melden sollte.«
»Selbstverständlich.«
Als sie wieder draußen im Auto saßen, sprang die Uhr auf dem Armaturenbrett auf 18.59 Uhr.
»Feierabend«, sagte Hinz.
»Denkste, wir fahren noch nach Frohnau.«
»Das ist Selbstausbeutung!«, protestierte Hinz.
»Besser Selbst- als Fremdausbeutung«, sagte Schneeganß und drehte entschlossen den Zündschlüssel herum.
*
Im ›à la world-carte‹ wurden sie vom Kellner nicht als Kriminalbeamte erkannt, was Schneeganß immer ein wenig wurmte, denn wozu sonst sorgte man im ›Tatort‹ und vielen anderen Serien seit Jahrzehnten für eine Glorifizierung seines Berufsstandes.
»Haben Sie reserviert?«, fragte der Kellner.
Schneeganß verneinte das. »Wir sind aber immer etwas reserviert.«
Trotz seiner vorzüglichen Deutschkenntnisse konnte ihm der Finne nicht recht folgen und war für einen Augenblick ein wenig verwirrt. »Mikä teidän nimenne on?«
Schneeganß lachte. »Macht nichts, wenn die Nudeln hier nicht ganz al dente sind.«
»Wie? Ich meine, wie Ihr Name ist …?«
»Mein Name sei Gantenbein«, antwortete Schneeganß, der immer wieder unter Beweis stellen musste, dass er das Abitur gemacht hatte, sogar mit einer Eins in Deutsch. »Max Frisch.«
»Entschuldigung, aber wie denn nun: Herr Gantenbein oder Herr Frisch?«
»Nein, Schneeganß.«
Nun war Matti Kemijärvi völlig durcheinander. »Haben Sie drei Namen?«
»Nein, ich heiße Gunnar Schneeganß, und ›Mein Name sei Gantenbein‹ ist der Titel eines Romans von Max Frisch.«
Der Finne freute sich. »Schön, dass man immer noch dazulernt. Aber leider ist kein Tisch mehr für Sie frei.«
»Wir wollen ja auch nichts essen, sondern nur Ihren Chef sprechen«, sagte Hinz. »Den Herrn Wiederschein.«
»Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit …?«
»In der Angelegenheit seines Onkels. Kriminalpolizei.«
Matti Kemijärvi machte große Augen. »Ist Herr Schulz …?«
»Nein«, antwortete Schneeganß. »Weder noch, weswegen wir ja hier sind. Aber wieso …?«
»Wir haben gehört, dass sein Wagen im Kanal ertrunken ist.« Matti Kemijärvi war nun so verwirrt, dass er Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache bekam. »Wenn Sie mir dann bitte verfolgen würden … Herr Wiederschein ist im Augenblick nicht in der Küche, sondern sucht oben nach einem Rezept, weil ein Gast unbedingt etwas aus Georgien will.« Der Finne führte sie in den ersten Stock hinauf und summte dabei einen Tango.
»Finnischer Tango?«, fragte Schneeganß. »Wie denn das?«
»Der ist besser als der argentinische. Sie müssen mal Harri Kaitila hören. Der ist sogar einmal bei uns aufgetreten, bei unserem finnischen Abend, wo es punajuuria etikkaliemessä, piikkikampela, piirakka und poronpaisti gegeben hat.«
Damit waren sie oben angekommen und wurden in Wiederscheins Arbeitszimmer abgeliefert. »Zwei Herren von der Kripo, die Sie sprechen wollen …«
Wiederschein saß mit dem Rücken zur Tür. Er schloss seinen Karteikasten und drehte sich mit dem Stuhl in ihre Richtung, ehe er aufstand.
»Bitte sehr, treten Sie näher … Frau Schulz hatte mich angerufen, dass Sie kommen würden … Das ist ja alles entsetzlich!«
»Hatten Sie es nicht schon im Radio gehört?«, fragte Hinz.
»Nein, tagsüber kommt keiner von uns zum Radiohören«, erwiderte Wiederschein.
Mit seiner weißen Mütze auf dem Kopf und seiner typischen Berufskleidung sah er aus wie ein Sternekoch, der sich gerade für seinen Fernsehauftritt zurechtgemacht hatte. Schneeganß, der viel für das Savoir-vivre übrig hatte, hoffte immer, einen solchen Menschen zu seinen Freunden zählen zu dürfen, weil das ungemein was hermachte.
»Dann wollen wir mal.« Auch Schneeganß war müde und wollte das Gespräch mit Wiederschein so schnell wie möglich zu Ende bringen. »Wenn Sie uns bitte einmal kurz erzählen würden, wie Ihr Onkel heute Morgen von hier losgefahren ist … Das ist er doch – oder?«
»Ja, kurz vor 5 Uhr.« Wiederschein erzählte ihnen, wie sie ihm hinterhergewinkt hatten. »Freddie, das ist mein Mann für alles, Gudrun, das ist unsere Reinemachefrau und Küchenhilfe …«
»Wie?« Hinz war erstaunt. »So früh sind die schon bei der Arbeit?«
»Ja, die
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