Unterm Kirschbaum
vor Vornehmheit nicht sprechen könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum, es sei beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz woanders liegen als in der Oder.«
(…)
»Hradschek? Den kenn’ ich. Der muß ans Messer.«
(Theodor Fontane, ›Unterm Birnbaum‹)
Marco Kurzrock hatte vor dem Spiel gegen United Berlin mehr als schlecht geschlafen. Zuerst war ihm der Deal mit Schulz als Geschenk des Himmels erschienen, denn er wollte Ende dieses Jahres heiraten und brauchte jeden Pfennig, doch je länger er darüber nachdachte, desto größer wurden seine Bedenken. Zum einen war es gefährliche Körperverletzung, was er da vorhatte, und konnte ihn in den Knast zurückbringen, und zum anderen hatte ja Klütz vor nicht allzu langer Zeit die Rote Karte wegen eines üblen Fouls gesehen, war also durchaus in der Lage, zurückzuschlagen und ihn selbst schwer zu verletzen. So richtig aber war Kurzrock erst ins Grübeln geraten, als er in der BILD gelesen hatte, dass Schulz verschwunden sei. War es nur ein Unfall gewesen, war er abgetaucht, um der Steuerfahndung oder der russischen Mafia zu entgehen, war er ermordet worden, hatte man ihn entführt? Wie auch immer, es war sicherlich am klügsten, sagte sich Kurzrock, nicht mit diesem Schulz in Verbindung gebracht zu werden. Aber dessen 5.000 Mark hatte er bereits eingesackt und war auch nicht willens, sie wieder herzugeben. Die waren für das Schlafzimmer, das Vanessa sich ausgesucht hatte, fest eingeplant. Also musste er Klütz übel foulen, denn wenn Schulz noch lebte, würde er das in der Fußball-Woche lesen wollen. War er aber ermordet worden, gab es keinen Pfennig mehr, auch wenn Klütz auf dem Friedhof landen sollte. Also fasste Kurzrock den Entschluss, Klütz nur mäßig zu foulen, um sich vor Schulz rechtfertigen zu können, sollte der wirklich wieder auftauchen, aber auf keinen Fall zur finalen Attacke anzusetzen.
In der Kabine besprach der Trainer mit ihnen noch einmal die Strategie, mit der sie United besiegen wollten, und Kurzrock freute sich, dass er als Manndecker für Klütz vorgesehen war.
»Du hast die Nummer sechs, Marco, aber heute definieren wir das mal anders: Du weichst Klütz nicht von der Pelle, du hängst wie eine Klette an ihm, du stehst ihm ständig auf den Füßen. Ist das klar?«
»Ja, Trainer.«
Beim Auflaufen sah Kurzrock Vanessa auf der kleinen Tribüne sitzen. Auch das noch. Er hatte es nicht so gerne, wenn sie ihn beobachtete, denn beim Vergleich mit ihren Idolen aus der Nationalmannschaft schnitt er allzu schlecht ab und war nur ein Held von der traurigen Gestalt. Und wenn er deshalb seine mangelnden Künste durch übertriebene Härte ausgleichen wollte, fand sie das entsetzlich.
Nun denn … Gleich nach dem Anpfiff suchte Kurzrock die Nähe zu Klütz. Der schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Diese Arroganz heizte Kurzrock richtig an. Dir Arschloch werd ich’s zeigen! Und bei der ersten Ballannahme fuhr er Klütz von hinten so in die Beine, dass dessen rechter Knöchel ordentlich was abbekam und Klütz wie ein gefällter Baum auf den Rasen stürzte. Ein Aufschrei, ein Pfiff des Schiedsrichters und die Gelbe Karte für Kurzrock. Prima, dachte der sich, das war der beste Nachweis für Schulz, dass er für sein Geld etwas getan hatte.
Klütz wurde behandelt, und als er aufstand, um weiterzumachen, trat er dicht an Kurzrock heran, um ihm etwas zuzuflüstern, was der Schiedsrichter nicht unbedingt hören musste: »Noch einen Tritt, und du kannst deine Knochen einzeln aufsammeln.«
Kurzrock hatte plötzlich Angst um seine Gesundheit, denn Klütz hatte ja Bundesliga gespielt und war mit allen Wassern gewaschen, und er als lumpiger Amateur hatte da überhaupt keine Chance. Also beschloss er, Klütz für den Rest des Spiels in Ruhe zu lassen.
Doch sie hatten keine Viertelstunde gespielt, da musste Kurzrock diese Entscheidung korrigieren, denn eben war Sandra Schulz auf der Tribüne erschienen, und das konnte nur bedeuten, dass sie im Auftrage ihres Mannes gekommen war, ihn zu beobachten und zu sehen, ob er Klütz wirklich in seine Einzelteile zerlegte. Er kannte sie, weil er oft Getränke in ihre Villa am Sandwerder geliefert hatte. Was blieb ihm also anderes übrig, als Klütz erneut zu attackieren.
Was folgte, war ein Duell der ganz besonderen Art. Kurzrock hatte sehr schnell gemerkt, dass Klütz ungemein unter Strom stand und nur auf einen geeigneten Moment wartete, um seinerseits zuzuschlagen. Das
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