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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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hieß, dass sein erster Schlag sozusagen tödlich sein musste, sonst war er selbst das Opfer. Aber wie zu einer Blutgrätsche oder zu einem Ellenbogencheck ansetzen, wenn der andere so etwas schon im Ansatz roch und der Attacke aus dem Wege ging? Klütz hinterherzulaufen und von hinten in die Beine zu grätschen, erwies sich als unmöglich, denn der andere war wesentlich schneller. Und bei hohen Bällen blieb er einfach stehen, gemäß der alten Devise von Weltklasseleuten, dass der Kopf zum Denken da sei und nicht für die Berührung mit dem Spielgerät.
    Dann kam die 43. Minute, und es gab einen Eckball für United. Klütz wollte sich vornehm zurückhalten und weit vor der Strafraumgrenze abwarten, was bei dem Gedränge vor dem Tor herauskam, doch sein Trainer forderte ihn energisch auf, sich dorthin zu begeben, wo es wehtat.
    Der Ball schwebte herein, genau auf den Kopf von Karsten Klütz gezielt, und Kurzrock war erfahren genug, die Flugbahn zu berechnen. Sein Gegenspieler stand günstiger als er, und schnellte Klütz im richtigen Augenblick in die Höhe, dann konnte er den Ball mit der Stirn in die rechte Torecke hämmern, wo mit Wumme ihr Kleinster den Pfosten deckte. Das musste unbedingt verhindert werden. Der Schiedsrichter stand schlecht, und so zögerte Kurzrock keinen Augenblick, Klütz ins Trikot zu greifen und ihn am Hochsteigen zu hindern.
    Klütz hatte schon den Torschrei auf den Lippen, kam aber nicht richtig vom Boden weg und verfehlte den Ball um Zentimeter. Da rastete er aus, und krachend fuhr sein rechter Ellenbogen Kurzrock ins Gesicht.
    Kurzrock musste mit einem Nasenbeinbruch ins Krankenhaus gebracht werden, Klütz bekam die Rote Karte gezeigt.

     
    *

     
    Sandra Schulz saß bei ihrer Mutter am Kaffeetisch und brachte keinen Bissen hinunter. Sie ekelte sich vor rohem Fleisch, ob nun Schinken oder Hackepeter, und beim Anblick frischer Blutwurst war sie nahe dran, sich zu erbrechen, denn schlagartig waren Bilder da, die sie nicht verscheuchen konnte: Wie der Kopf ihres Mannes unter einem Baseballschläger zerplatzte, wie Blut und Hirn herausspritzten, wie ein Messer ihm die Kehle durchtrennte, wie eine Kugel sein Herz durchschlug.
    »Kind«, sagte ihre Mutter und legte den Arm um ihre Schultern. »Warte doch erst einmal ab, was …«
    »Ach«, entgegnete sie nur und schluchzte nur heftiger.
    »Sandra, warum so plötzlich …? Wie oft hast du denn deinen Mann zum Teufel gewünscht!«
    »Ich erkenne mich ja selbst nicht wieder.«
    Ihre Mutter war Buchhändlerin und hatte genügend Romane gelesen, um zu wissen, dass die menschliche Seele noch immer als unerforschter Kontinent anzusehen war. »Ich begreife bis heute nicht, warum dein Vater damals auf und davon ist, so nach dem Muster: ›Ich geh mal schnell Zigaretten holen.‹ Und alle hatten gedacht, wir würden eine glückliche Ehe führen.«
    »Mutti, das ist doch ganz etwas anderes!«, rief Sandra Schulz. »Siegfried hat mich nicht verlassen, Siegfried ist entführt oder ermordet worden.«
    »Wer sagt das? Es kann ebenso gut sein, dass er dich verlassen hat und dass das mit dem Porsche im Kanal nur ein Trick war. Solange man seine Leiche nicht gefunden hat!«
    »Hör auf!«, schrie Sandra.
    »Ich meine es doch nur gut mit dir.« Gesine Schiller ging zu ihrem Stuhl und setzte sich, um ihr Honigbrötchen zu Ende zu essen. Sie hätte ihre Tochter in Ruhe lassen sollen, ja, aber eine Sache war noch zu klären. »Wusste dein Mann von deinem Neuen?« Den Namen Karsten Klütz wollte sie nicht aussprechen, denn das klang ihr doch sehr plebejisch, und Fußballer hielt sie ausnahmslos für Hohlköpfe. Aber ihre Tochter schien ja eine Schwäche für wohlhabende Dumpfmeier zu haben, siehe Schulz.
    »Ob Siegfried von Karsten wusste?«, wiederholte Sandra. »Ich glaube nicht.«
    »Bloß gut, dass du nachweislich in Mailand warst«, sagte ihre Mutter. »Sonst könnte noch jemand auf die Idee kommen, dass du deinen Mann …«
    Sandra Schulz verzog das Gesicht. »Man merkt, dass du keine Kriminalromane liest, Mutti.«
    »Das ist unter meinem Niveau!«, rief diese. »Bei mir in der Buchhandlung steht so ’n Schund nicht herum.«
    »Darum weiß deine Kundschaft auch immer weniger, wie es auf dieser Welt zugeht und was Spaß am Lesen ist. Die ganzen verschrobenen, verbitterten und vergeistigten Gestalten, die zu dir kommen, die …«
    »Hörst du bitte auf!«, bat Gesine Schiller händeringend. »Ich lästere auch nicht über die halbseidenen Gestalten, mit

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