Unterm Kirschbaum
verspeisen. »Da das hier als Arbeitsessen definiert ist, sollten wir auch gleich mit der Arbeit beginnen. Es wäre ja schade, habe ich mir gedacht, lediglich die Arten zu zählen, die in den brandenburgischen Kanälen noch – oder wieder – anzutreffen sind, wir könnten unsere Fische gleichzeitig auch auf ganz bestimmte Krankheiten untersuchen. Legen Sie sich doch gleich einmal eine Checkliste an, Furmaniak. Ja, nehmen Sie die Serviette, wenn Sie kein Papier bei sich haben.«
»Die ist leider aus Stoff …«
»Dann den Bierdeckel«, schlug Schrobenhausen vor.
Wieder hatte Furmaniak kein Glück. »Die sind hier so vornehm, die haben keine.«
»Gut, dann gebe ich Ihnen ein Tempotaschentuch.« Aber auch das scheiterte, denn Schrobenhausen hatte kein sauberes mehr. »Müssen Sie die Fakten eben so im Kopf behalten. Legen Sie sich doch einmal ein Notebook zu.«
»Ich habe schon eins.« Furmaniak griff in den Beutel, der neben ihm auf dem freien Stuhl lag, und zog es hervor.
Schrobenhausen guckte ein wenig ungnädig. »Das hätten Sie auch gleich sagen können.«
Furmaniak grinste. »Ich wollte Sie nicht unterbrechen, Sie hatten so wunderbare Vorschläge. Außerdem kann man schlecht mit Messer und Gabel essen und gleichzeitig …«
»Ich verstehe … Also bleibt doch nur der Kopf zum Speichern der Daten.« Schrobenhausen war nicht zu bremsen. »Also, wonach sollten wir bei Süßwasserfischen immer Ausschau halten? Herr Furmaniak, bitte.«
»Ist das jetzt eine Prüfung?«
»Das ganze Leben ist eine Prüfung.«
»Gut … Ich möchte nur nicht an einer Gräte ersticken«, murmelte Furmaniak.
»Besser eine Gräte im Hals, als eine Grete am Hals«, sagte Schrobenhausen, denn er war gerade dabei, sich von seiner Ehefrau Margarete, genannt Grete, scheiden zu lassen. »Aber lassen wir uns nicht ablenken. Wir achten zuerst auf die wattebauschartigen, grauweißen Verpilzungen auf der Haut unserer Fische … Das sind Pilze der Gattung?«
Furmaniak musste einen Augenblick überlegen, kam dann aber darauf. »Saprolegnia.«
»Richtig! Und wie bekämpft man sie?«
»Mit Malachitgrün.«
»Sehr schön, Herr Furmaniak.« Da sich Schrobenhausen aber am liebsten selbst reden hörte, brach er die Prüfung ab und dozierte wieder. »Wir schauen des Weiteren nach der Kiemenfäule, nach der Taumelkrankheit, die vom Ichthysoporidium hoferi hervorgerufen wird, nach der Hexamita-Krankheit, nach Sporentierchen, nach Trematoden und vor allem nach Band- und Fadenwürmern. Sie wissen ja, dass ich gerade etwas über die Larven der Gattung Triaenophorus schreibe. Für diese Würmer sind Kleinkrebse der Gattung Cyclops die ersten Zwischenwirte, Salmoniden und Barsche die zweiten, während der Hecht Endwirt ist und wir dann die schönsten Hechtbandwürmer bewundern dürfen. Aber auch nach Piscicola geometra könnten wir Ausschau halten, nach Fischegeln also, die kann man schon mit bloßem Auge erkennen. Nicht außer Acht lassen sollten wir auch die fischparasitären Krebse …«
Bis dahin hatte Mario Furmaniak aufmerksam zugehört, nun aber wurde er abgelenkt, denn im Eingang des ›à la world-carte‹ erschien eine Frau, die ihn von ihrer Statur und Kraft her an eine Speerwerferin erinnerte, deren Gesicht aber leer und abweisend war, die so aussah, als hätte sie gerade einen großen Wettkampf verloren.
»Die kommt mir irgendwie bekannt vor«, murmelte Furmaniak.
Schrobenhausen drehte sich um und lachte. »Kein Wunder, vom Bildschirm oder vom Theater her.«
»Wer ist denn das?«
»Na, ich bitte Sie: die Angela Wiederschein.«
»Wer ist Angela Wiederschein?«, fragte Furmaniak.
»1) eine bekannte Schauspielerin und 2) die Ehefrau des Wirtes hier.«
»Ah, ja …«
Angela Wiederschein wartete, bis ihr der Ober einen Leinenbeutel gebracht hatte, dann verschwand sie wieder.
»War ja nur ein kurzer Auftritt«, sagte Schrobenhausen. »Schade. Sie müssen sie mal spielen sehen. Vielleicht wiederholen sie mal wieder ein Fernsehspiel mit ihr.«
»Zufällig«, sagte Furmaniak.
»Herr …!« Schrobenhausen hob warnend seinen Zeigefinger. »Man verspottet seine Professoren nicht ungestraft – und Sie haben noch das Rigorosum vor sich. Also, weiter im Text … Wo waren wir stehen geblieben?«
»Bei den fischparasitären Krebsen.«
»Richtig. Kommen wir also zur Gattung Ergasilus sieboldi. Die weiblichen Tiere werden zwei Millimeter groß und verankern sich mit ihrem zweiten Antennenpaar fest im Kiemengewebe des Fisches. Befallen
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