Unterm Kirschbaum
werden vor allem Schleie, Hechte, Barsche, gelegentlich aber auch Karpfen und Forellen …«
*
Gunnar Schneeganß verfluchte Sandra Schulz, denn seit sie ihre Belohnung ausgesetzt hatte, konnten sie sich bei der Kripo vor Hinweisen gar nicht mehr retten. Andauernd klingelte das Telefon oder ratterte ihr Faxgerät, auch E-Mails gingen ein.
»Überschrift: Alle haben Schulz gesehen«, sagte Hinz.
»Dass es Tausende gibt, die Schulz heißen, wusste ich ja«, sagte Schneeganß. »Aber dass die sich alle so furchtbar ähnlich sehen, muss mir entgangen sein.«
Überall war Siegfried Schulz gesehen worden, oft zur selben Zeit in weit auseinanderliegenden Orten wie Stockholm und Las Palmas auf der Insel Lanzarote. Es war ja nicht strafbar, sich geirrt zu haben, und vielleicht hatte man Fortuna in diesem Leben mal auf seiner Seite. Auch wenn der Schulz, den man gesehen hatte, mit dem Schulz, dessen Foto in den Zeitungen zu finden war, weniger Ähnlichkeit hatte als der Papst mit Udo Jürgens, so war ja möglich, dass sich Schulz einer Gesichtsoperation unterzogen hatte.
»Idioten!«, brummte Schneeganß. »Der Schulz ist nicht der Täter, der ist doch das Opfer!«
»Weiß man’s?«, fragte Hinz. »Bei einem Suizid wäre er beides.«
Schneeganß reagierte ungehalten. »Nichts spricht für einen Selbstmord, kein Abschiedsbrief, keine Bemerkung zu seiner Frau oder wem sonst immer. Ich war und bin der Meinung, dass wir es mit einer Entführung zu tun haben.«
Hinz verharrte in seiner Standby-Schaltung, wozu sich aufregen, so verbrauchte man nur unnötige Energie. »Mit Verlaub, Herr Kollege, aber dann hätte wohl langsam eine Lösegeldforderung eingehen müssen oder wenigstens eine kleine Nachricht: ›Hallo, wir haben ihn.‹ Selbst wenn er ihnen beim Kidnapping gestorben sein sollte.«
»Das ist doch kein Argument«, sagte Schneeganß und warf einen Blick zu Hinz hinüber, der sagen sollte, dass der Schwachsinn auch vor ihm nicht haltmachte. »Ist dir schon mal aufgefallen, dass Kidnapper der lieben Ehefrau oder einer anderen Beziehungsperson zuflüstern: ›Keine Polizei, sonst …!‹? Vielleicht verhandeln die längst miteinander – und wir wissen von nichts.«
»Meinetwegen …« Hinz stritt sich grundsätzlich nicht, weil heftiger Streit der Gesundheit Abbruch tat: Der Blutdruck erhöhte sich, Magengeschwüre drohten, Krebszellen konnten aktiviert werden.
Wieder klingelte das Telefon, und da sie ausgemacht hatten, abwechselnd abzunehmen, musste sich Schneeganß dazu durchringen, den Hörer von der Gabel zu nehmen und ans Ohr zu pressen. Er rasselte sein Verslein herunter.
»Ich habe den Schulz gesehen«, flötete eine Dame. »Hier bei uns im Lust-Center. Wollen Sie nicht schnell vorbeikommen und …«
»Und schon, aber nicht Schulz erwischen«, sagte Schneeganß. »Du hältst mich von der Arbeit ab, Simona.«
»Silke, Mensch! Ich kratz’ dir die Augen aus!«
»Entschuldigung, aber der Stress hier!« Schneeganß feixte. Solche kleinen Irrtümer gehörten zu seinem Programm. An seinem internen Werbespruch ›Mich im Bett gehabt zu haben, krönt das Leben jeder Frau!‹ war seiner Ansicht nach schon ein Körnchen Wahrheit. Er verabredete sich mit Silke für den nächsten Abend und ging wieder daran, die Liste derer, die wegen Schulz angerufen hatten, zusammenzustreichen. Ein Mindestmaß an Plausibilität musste schon sein.
Wieder tat das Telefon seine Pflicht, und diesmal musste sich Hinz bequemen, den Hörer abzunehmen. Er griff nach ihm so angeekelt, als würde er eine glibberige Schlange anfassen müssen. Doch nach dem ersten Wortwechsel hellte sich sein Gesicht schlagartig auf.
»Herr Schulz, das darf doch nicht wahr sein?«, rief er.
»Doch ich stehe hier vor dem U-Bahnhof Viktoria-Luise-Platz …«
»Dann sind Sie gar nicht …?«
»Nein, ich bin nicht in den Zug nach Nollendorfplatz eingestiegen, sondern dem Schulz hinterher.«
Hinz fasste sich an den Kopf. »Ich denke, Sie selber sind der Siegfried Schulz …?«
»Nein, ich bin der Udo Schulz, habe aber den Siegfried Schulz eben gesehen. Hundertprozentig. Er ist hier in ein Restaurant rein.«
»Gut, warten Sie, wir schicken die Kollegen vorbei.«
Hinz veranlasste das Notwendige. Zehn Minuten später kam die Nachricht der Kollegen, dass es sich bei der angegebenen Person nicht um einen Siegfried Schulz handele, sondern um einen Gerhard Brückmann, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gesuchten aber durchaus nicht abzustreiten sei,
Weitere Kostenlose Bücher