Unterm Kirschbaum
du’s nicht.«
Als Hinz zurückkam, sah er sehr erleichtert aus. »Du, ich weiß, was da abgelaufen ist …«
»Was soll auf ’ner Toilette schon ablaufen?«
»Nein, in Frohnau – beziehungsweise am Kanal …« Hinz machte es spannend. »Diese Angela Wiederschein ist doch Schauspielerin …«
»Woher weißt du das?«, fragte Schneeganß.
»Weil ich andauernd beim Arzt bin«, antwortete Hinz.
Schneeganß konnte ihm nicht folgen. »Und da war sie auch …?«
»Nein, da lese ich im Wartezimmer immer alles, was herumliegt – und da ist öfter mal was drin über sie. Ihr Kind ist gestorben, sie kann nicht mehr vor der Kamera stehen, sie ist mit den Nerven am Ende.«
»Und was hat das mit Schulz zu tun?«, wollte Schneeganß wissen.
»Sie hat ihn ermordet und sich mit seinen Sachen in den Porsche gesetzt und den dann oben in den Kanal gefahren.«
Schneeganß sah den Kollegen ganz entgeistert an. »Sag mal, Gisbert, du warst ja bereits bei allen möglichen Ärzten – auch beim Psychiater?«
»Ja, wegen meiner Schlafstörungen damals«, Hinz blieb ganz ernsthaft. »Aber gefunden hat der nichts, keine Traumatisierungen und so.«
»Na schön«, sagte Schneeganß. »Und warum sollte Angela Wiederschein den Onkel ihres Mannes umgebracht haben?«
»Weil sie ’ne Menge erben könnten.«
Schneeganß schüttelte den Kopf. »Da ist doch erst einmal Schulz’ Frau dran.«
Hinz suchte nach anderen möglichen Motiven. »Vielleicht hat sie ihn geliebt – und er hat sie abgewiesen. Vielleicht wollte sie mit seinem Geld eine neue Karriere starten …?«
»Ach komm!«, rief Schneeganß. »Da lacht dich jeder Untersuchungsrichter aus, wenn du ihm das erzählst.«
Hinz war bereit, viel Kraft in diesen Disput zu investieren. »Dann erkläre du mir mal, warum dieser Furmaniak die Wiederschein morgens am Kanal gesehen hat?«
Schneeganß winkte ab. »Ach, das ist doch nur einer dieser Spinner, der sich die Belohnung verdienen will.«
Hinz lief weiterhin zur Hochform auf. »Nein, er hat ja – im Gegensatz zu den anderen – nicht Schulz, sondern Angela Wiederschein gesehen.«
»Vielleicht ist sie morgens mit Schulz losgefahren und oben am Kanal ausgestiegen, um das Stück zurückzujoggen«, sagte Schneeganß.
Hinz trat an die Landkarte, die an der Wand hing und Berlin und Umgebung wiedergab. »Ich überschlage das mal … Malzer Schleuse bis S-Bahnhof Frohnau … Das sind über 20 Kilometer, ein halber Marathon, das läuft man nicht mal so eben am Morgen.«
»Na schön, ist sie nicht gejoggt«, sagte Schneeganß, sichtlich genervt.
»Kann sie auch gar nicht, sonst hätte sie ja jemand mit Schulz im Wagen sitzen sehen.«
Schneeganß wurde immer ungehaltener. »Mann, Gisbert, deine Verkleidungsthese ist wirklich absurd.«
»Ist sie nicht. Sie fährt als Schulz verkleidet zum Oder-Havel-Kanal, versenkt den Wagen dort und kehrt als Joggerin nach Frohnau zurück. Sie braucht ja nur bis zum S-Bahnhof Oranienburg zu laufen, das sind nicht ganz sieben Kilometer, das schafft sie mühelos, und dann fährt sie mit der S-Bahn zurück nach Frohnau.«
»Deine Fantasie möchte ich haben!«, rief Schneeganß.
»Vielleicht hat auch ihr Mann seinen Onkel umgebracht«, sagte Hinz. »Und sie hat ihm nur geholfen, die Leiche zu entsorgen …?«
»Und wo hat sie die Leiche entsorgt?«
»Na, die wird im oder am Oder-Havel-Kanal liegen!«, rief Hinz.
Schneeganß rang die Hände. »Die Brandenburger haben doch mit ihren Suchhunden nicht das Geringste gefunden!«
»Na ja, Brandenburger … Wenn wir das übernommen hätten, dann …«
»Ach!« Schneeganß stand auf. »Komm, wir fahren nach Frohnau und sprechen mit deiner Täterin. Und sieh dir unterwegs schon mal deine neue Unterkunft an.«
»Wieso, ich will doch gar nicht umziehen?«
»Doch, in die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik.«
In einer Dreiviertelstunde waren sie in Frohnau und fanden Angela Wiederschein im Garten des ›à la world-carte‹, wie sie unter dem Kirschbaum saß und Eduard Mörike las. Matti Kemijärvi hatte die Polizisten hingeführt.
»Die beiden Herren möchten Sie wegen Ihres verstorbenen Onkels sprechen. Herr Schneeganß, Herr Hinz von der Kripo Berlin …«
Angela Wiederschein sah auf und hatte offenbar Mühe, so abrupt zu realisieren, dass es nun womöglich um Sein oder Nichtsein ging. Sie versuchte dadurch Zeit zu gewinnen, dass sie beim schnellen Aufstehen ihren Stuhl umriss und sich erst bücken musste, um ihn wieder aufzuheben. Dabei entglitt ihr der
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