Unterm Kirschbaum
etwas von Klütz finden würde, ein Haar, einen abgebrochenen Fingernagel, ich meine, etwas, auf das die DNA -Fuzzies alle abfahren.«
*
Karsten Klütz hatte keine Begabung zum Songtexter und Sänger, sonst hätte er Daniel Powters ›Had a bad day‹ vorweggenommen, denn dieser 4. August 1998 sollte wirklich ein fataler Tag für ihn werden.
Es begann damit, dass er gegen 6 Uhr von einem gewaltigen Rums geweckt wurde. Es hörte sich an wie ein Erdbeben. Das aber konnte für Berlin ausgeschlossen werden, sogar in den Zeiten des Klimawandels. Dann musste ein Flugzeug abgestürzt sein. Seine Wohnung lag ja in der Tempelhofer Einflugschneise. Er stellte die Info-Welle des rbb ein und erfuhr, während er sich die Zähne putzte, dass ganz in seiner Nähe in der Lepsiusstraße ein viergeschossiges Wohnhaus eingestürzt war, wahrscheinlich nach einer Gasexplosion. Die Trümmer hätten mehrere Menschen unter sich begraben. Er schüttelte sich. Ein fürchterlicher Gedanke, verschüttet zu sein.
Vor dem Frühstück trat er auf den Balkon, um seine Blumen zu gießen. Schließlich war er gelernter Gärtner und wusste, dass man seine Pflanzen in den frühen Morgenstunden wässern musste, weil da am wenigsten Wasser verdunstete. Er hatte die schönsten Balkonblumen weit und breit, und manchmal fragte er sich, ob er nicht glücklicher sein würde, wenn er bei seinem erlernten Beruf geblieben wäre, anstatt Fußballprofi zu werden. Schuster, bleib bei deinen Leisten … Ihm gegenüber auf dem Friedhof begannen seine Berufskollegen ihr Tagewerk. Mit einer Friedhofsgärtnerei verdiente man nicht schlecht, und mit einer Landschaftsgärtnerei noch besser. Nein, es waren keine Gärtner, die dort an der Mauer zur Fehlerstraße hin am Werke waren, sondern Totengräber. Die nächste Erdbestattung lag an. Für wen wohl?
Allein zu frühstücken, war noch immer eine Qual für ihn. Was hatte es früher stets für einen Trubel gegeben. ›Leon, hör auf, dir einen ganzen Liter Milch auf deine drei Cornflakes zu gießen!‹ – ›Leonie, iss bitte ein bisschen schneller, du musst in drei Minuten los zur Schule.‹ – ›Rebecca, du musst nicht noch staubsaugen, bevor du ins Büro gehst, wir kriegen heute keinen Besuch!‹ Bei Rebecca musste alles immer sauber und ordentlich sein, sonst bekam sie ihre Krise. Und da er es eher etwas schlampig liebte, hatte sie zuletzt dauernd ihre Krise bekommen. ›Ordnung ist das halbe Leben‹, hatte einmal ein Sportjournalist über ihn geschrieben. ›Aber für die andere Hälfte steht Karsten Klütz: für das Überraschende, das Kreative.‹
Jetzt tauchte sein Name im kicker nicht mehr auf, und auch in der Berliner Fußball-Woche nur noch selten und ganz weit hinten. Obendrein meist mit negativem Touch, wie bei seiner letzten Roten Karte. Als schlechtes Vorbild für die Jugend wurde er hingestellt, als jemand, der auch noch seine letzten Sympathien verspielte.
Beim Kaffeetrinken las er die Sportteile der fünf Tageszeitungen, die er sich gestern gekauft hatte. Als Spielerberater musste man schließlich wissen, wer wo angesagt war. Es war schmerzlich, dass auch hier niemand über ihn wenigstens eine einzige Zeile verlor. Bei Berlin United spielte ein Psychologe, und der hatte ihm zu einer Therapie geraten. ›Du leidest unter einer narzisstischen Unersättlichkeit, und wenn du nichts dagegen tust, wirst du immer verbitterter werden.‹ Rebecca hatte das mitbekommen und gesagt, noch verbitterter ginge nicht mehr.
Alles Quatsch. Er war durchaus ein fröhlicher Mensch, wenn man ihn so akzeptierte, wie er war, Sandra hatte das bewiesen.
Klütz ging hinunter zu seinem BM W und machte sich auf den Weg nach Frohnau, um den Bauleuten auf die Finger zu sehen. Anschließend hatte er oben in Wedding einen Termin mit einem jungen Spieler, den er unter Vertrag nehmen wollte.
Als er vor seinem Grundstück stand, fiel ihm nur ein Standardsatz seines Vaters ein: Still ruht der See. Es war kurz vor 9 Uhr, und noch immer hatte sich kein Handwerker eingefunden. Wahrscheinlich hatte die Baufirma einen lukrativeren Auftrag an Land gezogen und ihre Leute dort beginnen lassen. Klütz fluchte laut und griff zum Handy, um den Architekten zu beschimpfen. Da dies ein alter Bekannter von ihm war, brauchte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen. In seiner Erregung hielt es Klütz nicht auf einer Stelle, er musste auf und ab gehen, und da sich ihre Unterredung ein wenig in die Länge zog, kam er dabei am Zaun der Laubach
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