Unterm Kirschbaum
Schulz vor sich zu haben, wäre Klütz’ Spiel schnell vorbei gewesen. So würde man den Autohändler überall suchen, nur nicht auf seinem Grundstück … Dann aber war die Laubach gekommen und hatte den Verdacht auf Wiederschein gelenkt, was Klütz sicherlich zupassgekommen war, anfangs zumindest. Damit, dass sie ihn wenig später selbst auf dem Kieker haben würde, hatte er nicht rechnen können, ebenso wenig damit, dass Schulz mit Kurzrock eine Art Killer auf ihn angesetzt hatte und dessen Freundin deswegen zur Polizei gehen würde, er also plötzlich ins Fahndungsraster geriet. Das war alles so logisch, dass Schneeganß sein Vermögen darauf gewettet hätte, dass Klütz den Autohändler in der fraglichen Nacht umgebracht und auf seinem Grundstück vergraben hatte. Dann hatte er sich dessen Sachen angezogen, war als falscher Schulz mit dem Porsche Richtung Oranienburg gefahren, hatte den Wagen im Kanal versenkt und war anschließend mit der Bahn nach Berlin zurückgekehrt.
Zufrieden ging Schneeganß auf die Terrasse zurück.
Als es 19.30 Uhr geworden war, erschien Sandra Schulz im ›à la world-carte‹ und begrüßte erst Wiederschein, dann Schneeganß und schließlich Klütz.
»Das ist ja ein schrecklicher Verdacht «, sagte sie.
Hinz konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. »Für uns ist das alles Routine.«
In diesem Moment rief einer der Bauarbeiter vom Nachbargrundstück herüber, dass jetzt alles ausreichend abgestützt sei und man weitermachen könne.
»Okay, wir kommen!«, rief Schneeganß.
Für die beiden Hunde hatte man eine kleine Rampe angelegt. Als sie die Sohle der Grube erreicht hatten, sprangen sie hoch und versuchten, den Sand unter der Garage mit ihren Vorderpfoten zur Seite zu scharren. Die Hundeführer zogen sie weg, und die LKA -Leute machten sich wieder mit Spaten und Schaufel ans Werk, diesmal aber wesentlich vorsichtiger als am Nachmittag.
Kurz vor Sonnenuntergang schrie einer: »Aufpassen, da is was!« Und nun dauerte es keine fünf Minuten mehr, bis man Schulz gefunden hatte.
Seine Frau wurde, von Hinz und Wiederschein gestützt, zur Grube geführt, denn Schneeganß wollte so schnell wie möglich die letzte Gewissheit darüber haben, dass sie wirklich den Richtigen gefunden hatten.
»Ja, er ist es«, hauchte Sandra Schulz. Dann sank sie zusammen und musste ins Dominikus-Krankenhaus gebracht werden.
Schneeganß legte seine Hand auf Klütz’ rechten Arm. »Sie sind vorläufig festgenommen. Wir unterhalten uns morgen früh etwas ausführlicher über alles.«
*
Karsten Klütz waren erst gegen 4 Uhr morgens die Augen zugefallen. Kämpfen oder kapitulieren – diese Entscheidung hatte ihn nicht einschlafen lassen. Die eine Stunde trug er voller Empörung alle Argumente zusammen, die für seine Unschuld sprachen, die andere wieder ließ er sich fallen und dachte mit dem Vaterunser: Dein Wille geschehe. Wenn die Welt ihn als Mörder sehen wollte, war er machtlos dagegen. Er hatte sich mit einem Virus angesteckt, gegen das es noch kein Mittel gab, dem Mördersein-Virus. In den Momenten, in denen er logisch denken konnte, fragte er sich, wer denn Schulz wirklich ermordet und unter seiner Garage vergraben hatte: Sandra selbst, Wiederschein oder ein unbekannter Dritter? Der Trick, sich Schulz’ Sachen anzuziehen und als er höchstpersönlich in seinem Porsche davonzufahren, war gewiss genial, und es wäre sicherlich ein perfekter Mord geworden, wenn man ihn, Klütz, verdächtigt und auf seinem Grundstück nach Schulz gesucht hätte. ›Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm.‹ Er hatte oft genug mit seinen Kindern die Sesamstraße gesehen, als dass ihm dieses Liedchen nicht durch den Kopf gegangen wäre. Aber auf die Fragen, die er sich stellte, gab es keine Antworten. Außer der vielleicht, dass die Menschen Gewissheit brauchten und ihn deshalb zum Mörder machten, wenn dabei auch jegliche Logik flöten ging. Andererseits, er schrie es gegen die Wände seiner Zelle: »Mein Gott, ich war es doch nicht!« Dann wieder hatte er genau vor Augen, wie er Schulz getötet hatte: Er hatte ihm das dicke, flauschige Kissen, das auf dem Sessel neben dem Bett gelegen hatte, auf Mund und Nase gedrückt. Daran hatte er bei ihrem Gespräch wirklich immer wieder gedacht. Es war zu verlockend gewesen. Und da er an der Leiche, als sie Schulz unter seiner Garage hervorgezogen hatten, kein Blut gesehen hatte, nichts, was auf eine Schuss-, Stich- oder Schlagverletzung
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