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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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begangen habe. Ich habe alles aufgeschrieben und stecke Ihnen meine Papiere nachher schnell zu … Bitte, retten Sie mich!‹
    Beim Leichenschmaus in einem Café am Südwestkorso saß Mannhardt dann neben einem Enkel, der auf den schönen Namen Orlando hörte. Man kannte sich kaum.
    »Bist du auf einem Florida-Urlaub deiner Eltern gezeugt worden?«, fragte Mannhardt.
    »Nein, mein Vater ist doch Shakespeare-Fan.«
    Mannhardt staunte. »Wenn dein Vater mein Sohn Michael ist, dann ist mir das unbegreiflich, denn wenn der das Wort Literatur gelesen hat, kam er mit einer Kanne an und hat mich gefragt, ob er einen Liter Atur holen soll. ›Papa, was ist Atur eigentlich?‹«
    Orlando hatte Schwierigkeiten mit Kalauern dieser Art und konnte nur ausrufen: »Ach, Opa!«
    Mannhardt bemühte sich nun, das Niveau zu heben, und fragte seinen Enkel, wie denn Orlando und Shakespeare zusammenhängen würden?
    »In ›Wie es euch gefällt‹ gibt es ein Paar: Orlando und Rosalinde.«
    »Studierst du Literatur oder Anglistik?«, fragte Mannhardt.
    »Nein, Jura.«
    Mannhardt verzog das Gesicht. »Jura … Was willst du werden, wenn du fertig studiert hast: Rechtsverdreher …?«
    »Nein, Strafrichter.«
    »Wunderbar!«, rief Mannhardt. »Das sind die Leute, die immer alle freisprechen, die wir mühsam geschnappt haben. In dubio pro reo, wegen der schweren Kindheit.«
    »Das sind doch Vorurteile«, wandte Orlando ein.
    »Sind Vorurteile auch Urteile?«, fragte Mannhardt.
    »Sind Ratschläge auch Schläge?«, fragte Orlando zurück.
    »Ich sehe, wir verstehen uns prächtig«, sagte Mannhardt. »Willst du nicht mein Enkel werden?«
    »Ja, Opa.«
    So ging es noch ein Weilchen, bis Heike sie ermahnte, sich mit ihrer Fröhlichkeit ein wenig zurückzuhalten, schließlich käme man nicht aus einer Blödelshow, sondern von einer Beerdigung.
    Als sie dann auf der Straße standen, um sich wieder in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen, hatte Mannhardt eine Idee.
    »Hör mal, Lando Or, hast du nicht Lust, eine kleine Einführung in die kriminologische Praxis mitzumachen?«
    »Mit wem denn?«
    »Mit einem erfahrenen Lehrbeauftragten der hiesigen Fachhochschule und altgedienten Praktiker: deinem Bullen-Opa.«
    »Ja, gerne.« Orlando freute sich. »Mein Semester geht ja erst im Oktober los. Um was dreht es sich denn?«
    »Um einen Mann namens Klütz, der hier in dem Haus gegenüber gewohnt hat, bis ihm deine Kollegen wegen Mordes 15 Jahre aufgebrummt haben. Er hat zwar ein Geständnis abgelegt, es aber später widerrufen.«
    »Da hat ihm aber keiner mehr geglaubt …?«
    »So ist es. Als ich mit meinen Studenten in Tegel war, hat er mir seine Aufzeichnungen in die Hand gedrückt. Da will ich nun recherchieren … Ja, doch!« Dieser Ausruf des Unmuts bezog sich auf Heike, die an ihrem Wagen stand und zum Aufbruch drängte, Silvio neben sich.
    »Das ist also dein Sohn?«, wollte sich Orlando vergewissern.
    »Ja, warum?«
    »Weil es schon komisch ist, wenn einer einen Enkel hat, der dreimal so alt ist wie sein Sohn!«
    »Hansjürgen, kommst du endlich!«
    »Zu Befehl, meine strenge Gebieterin!« Mannhardt salutierte kurz, bevor er seinem Enkel die Hand drückte. »Wir telefonieren miteinander.«
    Das taten sie dann am Vormittag des nächsten Tages, und Mannhardt riet Orlando, zum Verständnis des Falles Klütz Fontanes Kriminalroman ›Unterm Birnbaum‹ zu lesen.
    »Irgendwie ist das, was sich da draußen in Frohnau abgespielt hat, eine Fontane-Paraphrase.«
    »Was für eine Phrase?«, fragte Orlando.
    »Pisa!«, rief Mannhardt. »Eine Paraphrase ist in der Musik eine freie Bearbeitung von Tonstücken. Siehe die Paraphrasen von Franz Liszt über Verdis Opern ›Emani‹ und ›Rigoletto‹.«
    »Es ist schön, wenn die ältere Generation ihr Wissen an die jüngere Generation weitergibt«, erklärte Orlando. »Wir sollten uns beim Bundesministerium für Familie bewerben, ob wir nicht bei einer Werbekampagne mitmachen können. Wir beide an jeder Litfaßsäule.«
    »Besser an einer Litfaßsäule kleben als an einem Laternenpfahl hängen«, sagte Mannhardt. »Der Soldat, den sie in Wiederscheins Garten gefunden haben, ist 1945 wahrscheinlich als Deserteur an einem Laternenpfahl aufgehängt worden.«
    »Wer ist Wiederschein?«, fragte Orlando.
    »Ich erzähl dir mal alles …«
    Das dauerte eine gute halbe Stunde, dann, als er wieder aufgelegt hatte, trat Mannhardt an sein Bücherregal und nahm sowohl die literarische Plauderei ›Mord und Totschlag bei

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