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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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Fontane‹ zur Hand als auch den Roman ›Unterm Birnbaum‹ selbst.
    Im August 1885 hatte ›Die Gartenlaube‹ begonnen, ›Unterm Birnbaum‹ abzudrucken. Das Ganze spielte in Tschechin, einem deutschen Dorf im Oderbruch, nachempfunden der Ortschaft Letschin, in der Fontanes Vater von 1838 bis 1850 Apotheker gewesen war und ihn als Gehilfen beschäftigt hatte. Der Roman sollte ein Flop werden, denn das damalige Publikum interessierte sich für das Arme-Leute-Milieu eines Oderbruchdorfes nur wenig.
    Der Protagonist heißt Abel Hradschek und kommt als Kind kleiner Leute aus dem Böhmischen, ist eigentlich von Haus aus Zimmermann, eröffnet aber um Michaeli 1820 in Tschechin ein Gasthaus und Materialwarengeschäft. Dem Glücksspiel verfallen, macht er viele Schulden und droht zu verarmen, wovor seine Frau Ursula, einst Schauspielerin, furchtbare Angst hat. Als Hradschek, ein Freund der Gartenarbeit, unter seinem Birnbaum gräbt, stößt er auf das Skelett eines französischen Soldaten, der im Jahre 1813 hier verscharrt worden ist.
    ›Der Fund bringt ihn auf die Idee, einen raffinierten Mordplan auszuführen, der ihn von seinen Geldnöten befreien und die Polizei auf eine falsche Fährte locken sollte‹, las Mannhardt in der Einführung zum Roman. ›Doch kaum ist der gefürchtete Schuldeneintreiber beseitigt und im Keller vergraben, die Polizei plangemäß von der Unschuld des Ehepaars Hradschek überzeugt, beginnen Gewissensqualen …‹
    Mannhardt machte sich an die Lektüre. Die nur 108 Seiten waren zwischen Mittagessen und Tagesschau mühelos geschafft, und als er die letzte, kursiv gesetzte Zeile gelesen hatte – ›Es ist nichts so fein gesponnen, ’s kommt doch alles an die Sonnen.‹ – rief er seinen Enkel an, um sich mit ihm für einen Ausflug nach Frohnau zu verabreden.

     
    *

     
    Mannhardt hatte in seinem ersten Leben, das heißt in seiner Ehe mit Lilo und den Kindern Michael und Elke, in Hermsdorf gewohnt, dem Ort vor Frohnau, von der Stadtmitte aus gesehen, und so sprachen sie bei der Fahrt mit der S-Bahn zuerst einmal über die Familiengeschichte und dann erst über Karsten Klütz und Rainer Wiederschein. Langsam aber kamen sie zum Thema.
    »Wie hat dir denn ›Unterm Birnbaum‹ gefallen?«, fragte Mannhardt seinen Enkel.
    »Nun …« Orlando war sich in seinem Urteil nicht ganz schlüssig. »Ganz spannend und eine Art vorweggenommener Sozio-Krimi, aber die Leute reden mir zu viel, und dadurch wird das alles zu langatmig.«
    »Damals haben sie eben viel geredet, was sollten sie ohne Fernsehen sonst auch anderes machen? Sich zu unterhalten, war die einzige Unterhaltung. Und außerdem sollen wir uns bei Fontane durch das, was sie sagen, ein Bild von ihrem Charakter machen.«
    »Mannhardt, setzen: Eins«, sagte Orlando.
    »Das habe ich in der Schule nie zu hören bekommen. Es hat ja bei mir auch nur zum Ersten Kriminalhauptkommissar gereicht.«
    »Nur? Eure Berufsgruppe wird doch wie kaum eine andere, Ärzte und Pfarrer einmal ausgenommen, in den Medien glorifiziert.« Sein Enkel meinte es gut mit ihm und wollte ihn trösten, ohne aber zu merken, dass man nur Opfern Trost spendete.
    Mannhardt reagierte dementsprechend nur mit einem eher säuerlichen Lächeln. »Klar, als Beamter des gehobenen Dienstes ist man im Leben ganz weit nach oben gekommen und gehört zu den Schönen und den Reichen.«
    »Sollen 99,99 Prozent aller Deutschen Selbstmord begehen, weil sie im Ranking unserer Milliardäre nicht auftauchen?«, fragte Orlando.
    »All die, die nicht Aldi sind«, ergänzte Mannhardt. »Nein, wir haben ja genug Brot und Spiele, Alkohol und Drogen, Partys und Klubs. Und jemanden umbringen kann man selbstverständlich auch noch, wenn sich sonst kein Sinn im Leben finden lässt. Oder man gehört zur Generation Doof, dann hat man’s ohnehin leicht. Immer ganz cool, denn was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß.«
    »Sei doch nicht so verbittert!«, rief Orlando.
    »Lass mich doch verbittert sein!«, gab Mannhardt zurück. »Die einen haben ihr Jodeldiplom, die anderen ihre Bittergottesdienste.«
    »Solche Stimmung bringt dich aber eher ins Grab«, hielt Orlando ihm entgegen.
    Mannhardt lachte und kam ihm mit einem Spruch aus seinen besten Mannesjahren. »Wer früher stirbt, ist länger tot.«
    »Irgendwie wird deine Generation defätistisch, was Sinn und Ziel der Bundesrepublik angeht.«
    »Das ist zweifelsfrei die einzig vernünftige Reaktion«, sagte Mannhardt und zitierte dann mit einigem

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