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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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im Kopf sich zu regen, das er in den letzten Monaten so oft gefühlt hatte - kein Schmerz, sondern ein hastig triumphierendes Treiben beschleunigter Pulse und heftig aufgeregter Kräfte, ein eilig ungestümes Vorwärtsbegehren. Nachher kam freilich das Kopfweh, aber solange jenes feine Fieber dauerte, rückte Lektüre und Arbeit stürmisch voran, dann las er spielend die schwersten Sätze im Xenophon, die ihn sonst Viertelstunden kosteten, dann brauchte er das Wörterbuch fast gar nie, sondern flog mit geschärftem Verständnis über ganze schwere Seiten rasch und freudig hinweg. Mit diesem gesteigerten Arbeitsfieber und Erkenntnisdurst traf dann ein stolzes Selbstgefühl zusammen, als lägen Schule und Lehrer und Lehrjahre schon längst hinter ihm und als schreite er schon eine eigene Bahn, der Höhe des Wissens und Könnens entgegen.
    Das kam nun wieder über ihn und zugleich der leichte oft unterbrochene Schlaf mit sonderbar klaren Träumen. Wenn er nachts mit leichtem Kopfweh erwachte und nicht wieder einschlafen konnte, befiel ihn eine Ungeduld, vorwärtszukommen, und ein überlegener Stolz, wenn er daran dachte, um wieviel er allen Kameraden voraus war und wie Lehrer und Rektor ihn mit einer Art von Achtung und sogar Bewunderung betrachtet hatten.
    Dem Rektor war es ein inniges Vergnügen gewesen, diesen von ihm geweckten, schönen Ehrgeiz zu leiten und wachsen zu sehen. Man sage nicht, Schulmeister haben kein Herz und seien
    verknöcherte und entseelte Pedanten! O nein, wenn ein Lehrer sieht, wie eines Kindes lange erfolglos gereiztes Talent hervorbricht, wie ein Knabe Holzsäbel und Schleuder und Bogen und die anderen kindischen Spielereien ablegt, wie er vorwärtszustreben beginnt, wie der Ernst der Arbeit aus einem rauhen Pausback einen feinen, ernsten und fast asketischen Knaben macht, wie sein Gesicht älter und geistiger, sein Blick tiefer und zielbewußter, seine Hand weißer und stiller wird, dann lacht ihm die Seele vor Freude und Stolz. Seine Pflicht und sein ihm vom Staat überantworteter Beruf ist es, in dem jungen Knaben die rohen Kräfte und Begierden der Natur zu bändigen und auszurotten und an ihre Stelle stille, mäßige und staatlich anerkannte Ideale zu pflanzen. Wie mancher, der jetzt ein zufriedener Bürger und strebsamer Beamter ist, wäre ohne diese Bemühungen der Schule zu einem haltlos stürmenden Neuerer oder unfruchtbar sinnenden Träumer geworden! Es war etwas in ihm, etwas Wildes, Regelloses, Kulturloses, das mußte erst zerbrochen werden, eine gefährliche Flamme, die mußte erst gelöscht und ausgetreten werden.
    Der Mensch, wie ihn die Natur erschafft, ist etwas Unberechenbares, Undurchsichtiges,
    Gefährliches. Er ist ein von unbekanntem Berge herbrechender Strom und ist ein Urwald ohne Weg und Ordnung. Und wie ein Urwald gelichtet und gereinigt und gewaltsam eingeschränkt werden muß, so muß die Schule den natürlichen Menschen zerbrechen, besiegen und gewaltsam einschränken; ihre Aufgabe ist es, ihn nach obrigkeitlicherseits gebilligten Grundsätzen zu einem nützlichen Gliede der Gesellschaft zu machen und die Eigenschaften in ihm zu wecken, deren völlige Ausbildung alsdann die sorgfältige Zucht der Kaserne krönend beendigt.
    Wie schön hatte sich der kleine Giebenrath entwickelt! Das Strolchen und Spielen hatte er fast von selber abgelegt, das dumme Lachen in den Lektionen kam bei ihm längst nimmer vor, auch die Gärtnerei, das Kaninchenhalten und das leidige Angeln hatte er sich abgewöhnen lassen.
    Eines Abends erschien der Herr Rektor persönlich im Hause Giebenrath. Nachdem er den
    geschmeichelten Vater mit Höflichkeit losgeworden war, trat er in Hansens Stube und fand den Knaben am Evangelium Lukä sitzen. Er begrüßte ihn freundlichst.
    »Das ist schön, Giebenrath, schon wieder fleißig! Aber warum zeigst du dich denn gar nicht mehr? Ich erwartete dich jeden Tag.«
    »Ich wäre schon gekommen«, entschuldigte sich Hans, »aber ich hätte Ihnen gern wenigstens einen schönen Fisch mitgebracht.«
    »Fisch? Was denn für einen Fisch?« »Nun, einen Karpfen oder so was.« »Ah so. Ja, angelst du denn wieder?« »Ja, nur ein bißchen. Der Vater hat's erlaubt.« »Hm. So. Macht's dir viel Vergnügen?« »Ja, schon.«
    »Schön, ganz schön, du hast dir ja deine Ferien wacker verdient. Da hast du wahrscheinlich jetzt wenig Lust, nebenher noch zu lernen?«
    »O doch. Herr Rektor natürlich.«
    »Ich möchte dir aber nichts aufzwingen, wozu du nicht selber Lust

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