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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hast.«
    »Freilich hab' ich Lust.« , Der Rektor tat ein paar tiefe Atemzüge, strich sich den dünnen Bart und setzte sich auf einen Stuhl.
    »Sieh, Hans«, sagte er, »die Sache liegt so. Es ist eine alte Erfahrung, daß gerade auf ein sehr gutes Examen oft ein plötzlicher Rückschlag folgt. Im Seminar gilt es, sich in mehrere neue Fächer einzuarbeiten. Da kommt nun immer eine Anzahl von Schülern, die in den Ferien
    vorgearbeitet haben - oft gerade solche, denen es im Examen weniger gut gegangen war. Die rücken dann plötzlich in die Höhe auf Kosten von solchen, die während der Vakanz auf ihren Lorbeeren ausgeruht haben.« Er seufzte wieder.
    »Hierin der Schule hast du es ja leicht gehabt, immer der Erste zu sein. Im Seminar findest du aber andere Kameraden, lauter begabte oder sehr fleißige Leute, die sich nicht so spielend überholen lassen. Du begreifst das?«
    »Oh, ja.«
    »Nun wollte ich dir vorschlagen, in diesen Ferien ein wenig vorauszuarbeiten. Selbstverständlich mit Maß! Du hast jetzt das Recht und die Pflicht, dich tüchtig auszuruhen. Ich dachte, so eine Stunde oder zwei im Tag wären etwa das richtige. Ohne das kommt man leicht aus dem Geleise und braucht nachher Wochen, bis man wieder flott im Zug ist. Was meinst du?« »Ich bin ganz bereit, Herr Rektor, wenn Sie so gütig sein wollen ...«
    »Gut. Nächst dem Hebräischen wird dir im Seminar namentlich Homer eine neue Welt erschließen.
    Du würdest ihn mit doppeltem Genuß und Verständnis lesen, wenn wir schon jetzt einen soliden Grund legten. Die Sprache Homers, der alte ionische Dialekt samt der homerischen Prosodie ist etwas ganz Eigentümliches, ganz etwas für sich, und erfordert Fleiß und Gründlichkeit, wenn man überhaupt zum rechten Genuß dieser Dichtungen kommen will.« Natürlich war Hans gerne bereit, auch in diese neue Welt einzudringen, und versprach, sein Bestes zu tun. Das dicke Ende kam aber nach. Der Rektor räusperte sich und fuhr freundlich fort:
    »Offen gestanden wäre es mir auch lieb, wenn du der Mathematik einige Stunden widmen
    wolltest. Du bist ja kein schlechter Rechner, doch war die Mathematik bisher immerhin nicht gerade deine Stärke. Im Seminar wirst du Algebra und Geometrie anfangen müssen, und da wäre es doch wohl angezeigt, ein paar vorbereitende Lektionen zu nehmen.«
    »Jawohl, Herr Rektor.«
    »Bei mir bist du immer willkommen, das weißt du schon. Mir ist es Ehrensache, etwas Tüchtiges aus dir werden zu sehen. Wegen der Mathematik aber müßtest du eben deinen Vater bitten, daß er dich beim Herrn Professor Privatstunden nehmen läßt. Vielleicht drei bis vier in der Woche.«
    »Jawohl, Herr Rektor.«
    Die Arbeit stand nun wieder in erfreulichster Blüte, und wenn Hans je und je doch wieder eine Stunde angelte oder spazierenlief, hatte er ein schlechtes Gewissen. Die gewohnte Badestunde hatte der aufopfernde Mathematiklehrer zu seinen Lektionen gewählt.
    Diese Algebrastunden konnte Hans bei allem Fleiße nicht vergnüglich finden. Es war doch bitter, mitten am heißen Nachmittag statt auf die Badwiese in die warme Stube des Professors zu gehen und in der staubigen, mückendurchsummten Luft mit müdem Kopf und trockener Stimme das a plus b und a minus b herzusagen. Es lag dann etwas Lähmendes und überaus Drückendes in der Luft, das an schlechten Tagen sich in Trostlosigkeit und Verzweiflung verwandeln konnte.
    Mit der Mathematik ging es ihm überhaupt merkwürdig. Er gehörte nicht zu den Schülern, denen sie verschlossen und unmöglich zu begreifen ist, er fand zuweilen gute, ja elegante Lösungen und hatte dann seine Freude daran. Ihm gefiel das an der Mathematik, daß es hier keine Irrungen und keinen Schwindel gab, keine Möglichkeit, vom Thema abzuirren und trügerische
    Nebengebiete zu streifen. Aus demselben Grunde hatte er das Latein so gern, denn diese
    Sprache ist klar, sicher, eindeutig und kennt fast gar keine Zweifel. Aber wenn beim Rechnen auch alle Resultate stimmten, es kam doch eigentlich nichts Rechtes dabei heraus. Die
    mathematischen Arbeiten und Lehrstunden kamen ihm vor wie das Wandern auf einer ebenen
    Landstraße; man kommt immer vorwärts, man versteht jeden Tag etwas, was man gestern noch nicht verstand, aber man kommt nie auf einen Berg, wo sich plötzlich weite Aussichten auftun.
    Etwas lebendiger ging es in den Stunden beim Rektor zu. Freilich verstand der Stadtpfarrer, aus dem entarteten Griechisch des Neuen Testamentes immer noch etwas viel Anziehenderes und

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