Unterm Rad
der
Reisesack gepackt, und eines kühlen Morgens fuhren Vater und Sohn nach Maulbronn ab. Es war doch seltsam und bedrückend, die Heimat zu verlassen und aus dem Vaterhause weg in eine fremde Anstalt zu ziehen.
Drittes Kapitel
Im Nordwesten des Landes liegt zwischen waldigen Hügeln und kleinen stillen Seen das große Zisterzienserkloster Maulbronn. Weitläufig, fest und wohl erhalten stehen die schönen alten Bauten und wären ein verlockender Wohnsitz, denn sie sind prächtig, von innen und außen, und sie sind in den Jahrhunderten mit ihrer ruhig schönen, grünen Umgebung edel und innig
zusammengewachsen. Wer das Kloster besuchen will, tritt durch ein malerisches, die hohe Mauer öffnendes Tor auf einen weiten und sehr stillen Platz. Ein Brunnen läuft dort, und es stehen alte ernste Bäume da und zu beiden Seiten alte steinerne und feste Häuser und im Hintergrunde die Stirnseite der Hauptkirche mit einer spätromanischen Vorhalle, Paradies genannt, von einer graziösen, entzückenden Schönheit ohnegleichen. Auf dem mächtigen Dach der Kirche reitet ein nadelspitzes, humoristisches Türmchen, von dem man nicht begreift, wie es eine Glocke tragen soll. Der unversehrte Kreuzgang, selber ein schönes Werk, enthält als Kleinod eine köstliche Brunnenkapelle; das Herrenrefektorium mit kräftig edlem Kreuzgewölbe, weiter Oratorium, Parlatorium, Laienrefektorium, Abtwohnung und zwei Kirchen schließen sich massig aneinander. Malerische Mauern, Erker, Tore, Gärtchen, eine Mühle, Wohnhäuser umkränzen
behaglich und heiter die wuchtigen alten Bauwerke. Der weite Vorplatz liegt still und leer und spielt im Schlaf mit den Schatten seiner Bäume; nur in der Stunde nach Mittag kommt ein flüchtiges Scheinleben über ihn. Dann tritt eine Schar junger Leute aus dem Kloster, verliert sich über die weite Fläche, bringt ein wenig Bewegung, Rufen, Gespräch und Gelächter mit, spielt etwa auch ein Ballspiel und verschwindet nach Ablauf der Stunde rasch und spurlos hinter den Mauern. Auf diesem Platz hat schon mancher sich gedacht, hier wäre der Ort für ein tüchtiges Stück Leben und Freude, hier müßte etwas Lebendiges, Beglückendes wachsen können, hier
müßten reife und gute Menschen ihre freudigen Gedanken denken und schöne, heitere Werke schaffen. Seit langer Zeit hat man dies herrliche, weltfern gelegene, hinter Hügeln und Wäldern verborgene Kloster den Schülern des protestantischtheologischen Seminars eingeräumt, damit Schönheit und Ruhe die empfänglichen jungen Gemüter umgebe. Zugleich sind dort die jungen Leute den zerstreuenden Einflüssen der Städte und des Familienlebens entzogen und bleiben vor dem schädigenden Anblick des tätigen Lebens bewahrt. Es wird dadurch ermöglicht, den Jünglingen jahrelang das Studium der hebräischen und griechischen Sprache samt Nebenfächern allen Ernstes als Lebensziel erscheinen zu lassen, den ganzen Durst der jungen Seelen reinen und idealen Studien und Genüssen zuzuwenden. Dazu kommt als wichtiger Faktor das
Internatsleben, die Nötigung zur Selbsterziehung, das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Stiftung, auf deren Kosten die Seminaristen leben und studieren dürfen, hat hierdurch dafür gesorgt, daß ihre Zöglinge eines besonderen Geistes Kinder werden, an welchem sie später jederzeit erkannt werden können - eine feine und sichere Art der Brandmarkung. Mit Ausnahme der Wildlinge, die sich je und je einmal losreißen, kann man denn auch jeden schwäbischen Seminaristen sein Leben lang als solchen erkennen.
Wer beim Eintritt ins Klosterseminar noch eine Mutter gehabt hat, der denkt zeitlebens an jene Tage mit Dankbarkeit und lächelnder Rührung. Hans Giebenrath war nicht in diesem Fall und kam ohne alle Rührung darüber hinweg, aber er konnte doch eine große Zahl von fremden Müttern beobachten und hatte einen sonderbaren Eindruck davon. In den großen, mit Wandschränken eingefaßten Korridoren, den sogenannten Dormenten, standen Kisten und Körbe umher, und die von ihren Eltern begleiteten Knaben waren mit dem Auspacken und Einräumen ihrer
Siebensachen beschäftigt. Jeder hatte seinen numerierten Schrank und in den Arbeitszimmern sein numeriertes Büchergestell angewiesen bekommen. Söhne und Eltern knieten auspackend am Boden, der Famulus wandelte wie ein Fürst zwischendurch und gab hie und da wohlmeinenden Rat. Es wurden ausgepackte Kleider ausgebreitet, Hemden gefaltet, Bücher aufgestapelt, Stiefel und Pantoffeln in Reihen gestellt.
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