Unterm Rad
Die Ausrüstung war in den Hauptstücken bei allen dieselbe, denn die Mindestzahl der mitzubringenden Wäschestücke und das Wesentliche des übrigen
Hausrats waren vorgeschrieben. Blecherne Waschbecken mit eingekratzten Namen kamen zum
Vorschein und wurden im Waschsaal aufgestellt, Schwamm, Seifenschale, Kamm und
Zahnbürsten daneben. Ferner hatte jeder eine Lampe, eine Erdölkanne und ein Tischbesteck mitgebracht. Die Knaben waren sämtlich überaus geschäftig und erregt. Die Väter lächelten, versuchten mitzuhelfen, sahen oft nach ihren Taschenuhren, hatten ziemlich Langeweile und machten Versuche, sich zu drücken. Die Seele der ganzen Tätigkeit waren aber die Mütter. Stück für Stück nahmen sie die Kleider und Wäsche zuhanden, strichen Falten hinweg, zogen Bänder zurecht und verteilten die Stücke mit sorgfältigem Ausprobieren möglichst sauber und
praktisch im Schrank. Ermahnungen, Ratschläge und Zärtlichkeiten flossen mit ein. »Die neuen Hemden mußt du besonders schonen, sie haben drei Mark fünfzig gekostet.«
»Die Wäsche schickst du alle vier Wochen per Bahn - wenn's eilig ist, per Post. Der schwarze Hut ist nur für sonntags.« Eine dicke, behagliche Frau saß auf einer hohen Kiste und lehrte ihren Sohn die Kunst, Knöpfe anzunähen. »Wenn du Heimweh hast«, hieß es anderswo, »dann schreib mir nur immer, 's ist ja nicht so schrecklich lang bis Weihnachten.« Eine hübsche, noch ziemlich junge Frau übersah den gefüllten Schrank ihres Söhnleins und fuhr mit liebkosender Hand über die Wäschehäufchen und Röcke und Hosen. Als sie damit fertig war, begann sie ihren Buben, einen breitschultrigen Pausback, zu streicheln. Er schämte sich und wehrte verlegen lachend ab und steckte auch noch, um ja nicht zärtlich auszusehen, beide Hände in die Hosentaschen. Der Abschied schien der Mutter schwerer zu fallen als ihm.
Bei andern war es umgekehrt. Sie blickten ihre beschäftieten Mütter tat- und ratlos an und sahen aus, als möchten sie am liebsten wieder mit heimreisen. Bei allen aber lag die Furcht vor dem Abschied und das gesteigerte Gefühl der Zärtlichkeit und Anhänglichkeit in schwerem Kampf mit der Scheu vor Zuschauern und mit dem trotzigen Würdegefühl erster Männlichkeit. Mancher, der am liebsten geheult hätte, machte nun ein künstlich sorgloses Gesicht und tat so, als ginge nichts ihm nah. Und die Mütter lächelten dazu.
Fast alle entnahmen ihren Kisten außer dem Notwendigen auch noch einige Luxusstücke, ein Säcklein Äpfel, eine Rauchwurst, ein Körbchen Backwerk und dergleichen. Viele hatten
Schlittschuhe mitgebracht. Großes Aufsehen erregte ein kleiner, pfiffig aussehender Jüngling durch den Besitz eines ganzen Schinkens, den er auch keineswegs zu verbergen trachtete. Man konnte leicht unterscheiden, welche von den Jungen direkt von Hause kamen und welche schon früher in Instituten und Pensionen gewesen waren. Aber auch diesen sah man die Aufregung und Spannung an.
Herr Giebenrath half seinem Sohn beim Auspacken und benahm sich dabei klug und praktisch.
Er war früher damit fertig als die meisten andern und stand eine Weile mit Hans gelangweilt und hilflos im Dorment herum. Da er auf allen Seiten mahnende und belehrende Väter, tröstende und ratgebende Mütter und beklommen zuhörende Söhne erblickte, hielt auch er es für angemessen, seinem Hans einige goldene Worte mit auf den Lebensweg zu geben. Er überlegte lang und
schlich gequält neben dem stummen Knaben einher, dann legte er plötzlich los und förderte eine kleine Blütenlese von weihevollen Redensarten zutage, die Hans verwundert und still entgegennahm, bis er einen daneben stehenden Pfarrer über die väterliche Rede belustigt lächeln sah; da schämte er sich und zog den Redner beiseite.
»Also nicht wahr, du wirst deiner Familie Ehre machen? Und deinen Vorgesetzten folgsam sein?«
»Ja natürlich«, sagte Hans. Der Vater schwieg und atmete erleichtert auf. Es begann ihm langweilig zu werden. Auch Hans kam sich ziemlich verloren vor, schaute bald mit beklommener Neugierde durch die Fenster in den stillen Kreuzgang hinab, dessen altertümlich einsiedlerische Würde und Ruhe sonderbar im Gegensatz zu dem oben lärmenden jungen Leben stand, bald
beobachtete er schüchtern die beschäftigten Kameraden, deren er noch keinen kannte. Jener Stuttgarter Examensgenosse schien trotz seinem raffinierten Göppinger Latein nicht bestanden zu haben, wenigstens sah Hans ihn nirgends. Ohne sich viel dabei
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