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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zu denken, betrachtete er seine künftigen Mitschüler. So ähnlich an Art und Zahl die Ausrüstung sämtlicher Knaben war, konnte man doch leicht die Städter von den Bauernsöhnen und die Wohlhabenden von den
    Armen unterscheiden. Söhne reicher Leute freilich kamen selten ins Seminar, was teils auf den Stolz oder die tiefere Einsicht der Eltern, teils auf die Begabung der Kinder schließen läßt; doch sendet immerhin mancher Professor und höhere Beamte in Erinnerung an die eigenen
    Klosterjahre seinen Jungen nach Maulbronn. So sah man denn unter den vierzig Schwarzröcken mancherlei Verschiedenheit an Tuch und Schnitt, und noch mehr unterschieden sich die jungen Leute in Manieren, Dialekt und Haltung. Es gab hagere Schwarzwälder mit steifen Gliedmaßen, saftige Albsöhne, strohblond und breitmäulig, bewegliche Unterländer mit freien und heiteren Manieren, feine Stuttgarter mit spitzen Stiefeln und einem verdorbenen, will sagen verfeinerten Dialekt. Annähernd der fünfte Teil dieser Jugendblüte trug Brillen. Einer, ein schmächtiges und fast elegantes Stuttgarter Muttersöhnchen, war mit einem steifen feinen Filzhut bekleidet, benahm sich vornehm und ahnte nicht, daß jene ungewohnte Zierde schon jetzt am ersten Tage die Verwegenem unter den Kameraden auf spätere Hänseleien und Gewalttaten lüstern machte.
    Ein feinerer Zuschauer konnte wohl erkennen, daß das zage Häuflein keine schlechte Auswahl aus der Jugend des Landes vorstellte. Neben Durchschnittsköpfen, denen man von weitem den Nürnberger Trichter anmerkte, fehlte es weder an zarten, noch an trotzig festen Burschen, welchen hinter der glatten Stirne ein höheres Leben noch halb im Traume liegen mochte.
    Vielleicht war der eine oder andere von jenen schlauen und hartnäckigen Schwabenschädeln darunter, welche je und je im Lauf der Zeiten sich mitten in die große Welt gedrängt und ihre stets etwas trockenen und eigensinnigen Gedanken zum Mittelpunkt neuer, mächtiger Systeme gemacht haben. Denn Schwaben versorgt sich und die Welt nicht allein mit wohlerzogenen
    Theologen, sondern verfügt auch mit Stolz über eine traditionelle Fähigkeit zur philosophischen Spekulation, welcher schon mehrmals ansehnliche Propheten oder auch Irrlehrer entstammt sind.
    Und so übt das fruchtbare Land, dessen politisch große Traditionen weit dahinten liegen, wenigstens auf den geistigen Gebieten der Gottesgelehrtheit und Philosophie noch immer seinen sichern Einfluß auf die Welt. Daneben steckt im Volke auch noch von alters her eine Freude an schöner Form und träumerischer Poesie, woraus von Zeit zu Zeit Reimer und Dichter
    hervorwachsen, die nicht zu den schlechten gehören.
    In den Einrichtungen und Sitten des Maulbronner Seminars war, äußerlich betrachtet, nichts Schwäbisches zu spüren, vielmehr war neben den aus Klosterzeiten übriggebliebenen
    lateinischen Namen noch manche klassische Etikette neuerdings aufgeklebt worden. Die Stuben, auf welche die Zöglinge verteilt waren, hießen: Forum, Hellas, Athen, Sparta, Akropolis, und daß die kleinste und letzte Germania hieß, schien fast darauf zu deuten, daß man Gründe habe, aus der germanischen Gegenwart nach Möglichkeit ein römisch-griechisches Traumbild zu machen.
    Doch war auch dies wiederum nur äußerlich, und in Wahrheit hätten hebräische Namen besser gepaßt. So wollte denn auch der fröhliche Zufall, daß die Stube Athen nicht etwa die
    weitherzigsten und beredtesten Leute, sondern gerade ein paar rechtschaffene Langweiler zu Insassen bekam und daß auf Sparta nicht Kriegsmänner und Asketen, sondern eine Handvoll fideler und üppiger Hospitanten wohnten. Hans Giebenrath war der Stube Hellas zugeteilt, zusammen mit neun Kameraden.
    Es war ihm doch eigentümlich ums Herz, als er am Abend zum erstenmal mit den neun
    zusammen den kühlen, kahlen Schlafsaal betrat und sich in seine schmale Schülerbettstatt legte.
    Von der Decke hing eine große Erdöllaterne herab, bei deren rotem Schein man sich entkleidete und die ein Viertel nach zehn Uhr vom Famulus gelöscht wurde. Da lag nun einer neben dem andern, zwischen je zwei Betten stand ein Stühlchen mit den Kleidern darauf, am Pfeiler hing der Strick herab, an dem die Morgenglocke angezogen wird. Zwei oder drei von den Knaben kannten einander schon und plauderten ein paar zaghafte Flüsterworte, die bald verstummten; die andern waren einander fremd, und jeder lag ein wenig bedrückt und totenstill in seinem Bett. Die Eingeschlummerten ließen

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