Unterm Rad
no von ere Ernt rede könne. I han a Epfelbeimle g'het, das hol allei seine feif Zentner g'schmissa.« Aber so schlecht auch die Zeiten geworden sind, die grämlichen Alten helfen doch auch heuer ausgiebig probieren, und die noch Zähne haben, von denen kaut jeder an seinem Apfel herum. Einer hat sogar ein paar große Wadelbirnen gezwungen und elend das Grimmen bekommen.
»I sag's ja«, räsoniert er, »früher han i von dene meine zehn Stück gessa.« Und er denkt unter ungeheuchelten Seufzern an die Zeiten, da er noch zehn Wadelbirnen fressen konnte ehe er's Grimmen bekam.
Mitten in dem Gewühl hatte Herr Flaig seine Presse stehen und ließ sich vom älteren Lehrbuben helfen. Er bezog seine Äpfel aus dem Badischen, und sein Most war immer vom besten. Er war stillvergnügt und verwehrte niemand, ein »Versucherle« zu nehmen. Noch vergnügter waren seine Kinder, die sich rundum trieben und selig im Schwärme mitschwammen. Aber am vergnügtesten, wenn auch stillerweise, war sein Lehrbub. Dem tat es in allen Knochen wohl, daß er sich wieder einmal im Freien kräftig regen und ausschaffen konnte, denn er stammte vom Wald oben
herunter aus einem armen Bauernhaus, und auch der gute Süße ging ihm köstlich ein. Sein gesundes Bauernbubengesicht grinste wie eine Satyrmaske, und seine Schustershände waren sauberer als je am Sonntag. Als Hans Giebenrath auf den Platz kam, war er still und ängstlich; er war nicht gern gekommen. Aber gleich an der ersten Presse wurde ihm ein Becher
entgegengestreckt, und zwar von Nascholds Liese. Er probierte, und beim Schlucken kam mit dem süßen, kraftvollen Mostgeschmack eine Menge von lachenden Erinnerungen an frühere
Herbste über ihn und zugleich ein zaghaftes Verlangen, wieder einmal ein bißchen mitzumachen und lustig zu sein. Bekannte sprachen ihn an, Gläser wurden ihm angeboten, und als er bei der Flaigschen Presse angekommen war, hatte die allgemeine Fröhlichkeit und das Getränk ihn schon gepackt und verwandelt. Ganz fidel begrüßte er den Schuster und machte ein paar von den üblichen Mostwitzen. Der Meister verbarg sein Erstaunen und hieß ihn fröhlich willkommen.
Eine halbe Stunde war vergangen, da kam ein Mädchen in einem blauen Rock daher, lachte den Flaig und seinen Lehrbuben an und fing an mitzuhelfen.
»Ja so«, sagte der Schuhmacher, »das ist meine Nichte aus Heilbronn. Die ist freilich an ein anderes Herbsten gewöhnt, wo's bei ihr daheim den vielen Wein gibt.« Sie war vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, beweglich und lustig, wie die Unterländer sind, nicht groß, aber wohlgebaut und von vollen Formen. Lustig und gescheit waren im runden Gesicht die dunklen, warm blickenden Augen und der hübsche, küssige Mund, und alles in allem sah sie zwar wie eine gesunde und heitere Heilbronnerin, aber gar nicht wie eine Verwandte des frommen
Schustermeisters aus. Sie war durchaus von dieser Welt, und ihre Augen sahen nicht aus wie solche, die am Abend und in der Nacht in der Bibel und in Goßners Schatzkästlein zu lesen pflegen.
Hans sah plötzlich wieder bekümmert aus und wünschte inbrünstig, die Emma möchte bald
wieder gehen. Sie blieb aber da und lachte und schwatzte und wußte auf jeden Witz eine flotte Antwort, und Hans schämte sich und wurde ganz still. Mit jungen Mädchen umzugehen, zu denen er Sie sagen mußte, war ihm ohnehin entsetzlich, und diese war so lebendig und so gesprächig und machte sich aus seiner Gegenwart und aus seiner Schüchternheit so wenig, daß er
unbehilflich und ein wenig beleidigt die Fühler einzog und sich verkroch, wie eine vom Wagenrad gestreifte Wegschnecke. Er hielt sich still und versuchte auszusehen wie einer, der sich langweilt; doch gelang es ihm nicht, und er machte statt dessen ein Gesicht, als wäre ihm soeben jemand gestorben.
Niemand hatte Zeit, darauf zu achten, die Emma selber am wenigsten. Sie war, wie Hans zu hören bekam, seit vierzehn Tagen bei Flaigs zu Besuch, aber sie kannte schon die ganze Stadt.
Bei hoch und nieder lief sie herum, probierte den Neuen, witzelte und lachte ein wenig, kam wieder zurück und tat so, als schaffe sie eifrig mit, nahm die Kinder auf den Arm, verschenkte Äpfel und verbreitete lauter Gelächter und Lust um sich her. Sie rief jeden Gassenbuben an:
»Willst en Epfel?« Dann nahm sie einen schönen, rotbackigen, streckte die Hände hinter den Rücken und ließ raten: »Rechts oder links?«; aber der Apfel war nie in der richtigen Hand, und erst wenn die Buben
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