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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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eine nationalstaatliche Regulierung allein nicht mehr einzäunen. Bei der gegebenen Kapitalverkehrsfreiheit innerhalb der EU und der globalen Aufstellung und Vernetzung von Finanzinstituten verpuffen nationale Maßnahmen; andere internationale Finanzzentren würden sofort in die Lücke springen. Auch wenn ein gewisser nationaler Aktionsradius nicht ausgeschlossen ist, überwiegt bei allen Politikern, die für eine stärkere Regulierung eintreten, die frustrierende Erkenntnis, wie mühsam es ist, sich gegen Interessen einiger Finanzzentren mit einem starken politischen Lobbying und gegen die Ignoranz mancher Bankvorstände durchzusetzen. Das Bohren dicker Bretter, mit dem auf den Treffen der G7- und G20-Staaten, der Zentralbanken, des Internationalen Währungsfonds (IWF) oder des Financial Stability Board mit ersten, durchaus vorzeigbaren Ergebnissen begonnen wurde, hält weder den öffentlichen Erwartungen noch dem objektiven Problemdruck stand, ganz abgesehen von flinken Ausweichmanövern der Finanzinstitute.
    Kurzum, die Politik hat im nationalen Radius massiv an Gestaltungskraft verloren, was dem Souverän in Gestalt der Wählerinnen und Wähler entweder kaum bewusst ist oder ihn im Fall von Missständen und Fehlentwicklungen nicht interessiert, weil die Bürger von »ihrer« Regierung Lösungen erwarten. Die Politik hat für diesen Verlust bisher keine Kompensation geschaffen; internationale Steuerungsmöglichkeiten, um bedrohlichen Ungleichgewichten entgegenzutreten oder unheilvollen Markttendenzen wirkungsvoll Einhalt zu gebieten, liegen nicht vor. Im Gegenteil: Internationalisierung und Globalisierung tendieren dazu, Politik weiter zu marginalisieren. Die handelt sich dafür zu Hause erhebliche Frustrationen ein.
    Dieses Handicap der Politik kann auch dramatischer beschrieben werden als Ablösung ihres Primats durch den Primat der Ökonomie. Während sich Unternehmen, Konzerne und erst recht alle größeren Banken längst über ihre nationalen Wurzeln hinaus zu global aufgestellten Einheiten entwickelt haben, hantiert die Politik noch mit dem nationalstaatlichen Fliegenfänger. Sie bemüht sich - den Entscheidungen der international operierenden Unternehmen immer hinterherlaufend - mühsam um Schadensbegrenzung, wobei es oft genug um die Sicherung des heimatlichen Wirtschaftsstandortes im internationalen Wettbewerb geht.
    Über diese Entwicklung müssen Unternehmen und Banken nicht zu »vaterlandslosen Gesellschaften« geworden sein, wie ein strapaziertes Vorurteil lautet. Aber diese Unternehmen spielen nicht mehr nach den nationalen Regeln. Sie sind schneller, flexibler - und einige sind sogar potenter als manche Nationalstaaten. In vielen Führungsetagen von Unternehmen fehlt der Sinn für die integrative Funktion von Parteien, für die Mühen der gesellschaftlichen Konsensbildung, für parlamentarische Prozesse, für politische Differenzierungen - und gelegentlich wohl auch das Verständnis für soziale Bündnisse im Sinne einer gesellschaftlichen Integration.

    Mit der Implosion des realen Sozialismus vor 20 Jahren ist ein ideologisches Widerlager entfallen. Die Systemkonkurrenz hatte den westlich geprägten Kapitalismus seinerzeit zumindest so weit diszipliniert, dass er sein hässliches Gesicht regelmäßig einem Lifting unterziehen musste. Der zuständige Schönheitschirurg war der als solcher akzeptierte Staat, als Schnittmuster diente die soziale Marktwirtschaft. Mit dem Parforceritt der monetaristischen Schule in den Wirtschaftswissenschaften Mitte der siebziger Jahre gerieten diejenigen, die Staat und Markt auf Augenhöhe sahen, in die Defensive. Die Jünger der Deregulierung waren jetzt überall zu finden, in der Politik, im Management, in der Beratungsindustrie und den Medien.
    Ihnen galt »der lenkende Staat, zumal der Sozialstaat, als im wahrsten Sinne des Wortes abgewirtschaftet, finanziell und vor allem ideologisch«. Während viele hierzulande das Hohe Lied auf die angloamerikanische Unternehmensphilosophie mit dem schönen Refrain »Shareholder Value« anstimmten, geriet der »staatsinterventionistische« Teil immer mehr in die Defensive. Und ergab sich schließlich bis auf weiteres. Sogar die Vorstellung, dass ein handlungsfähiger Staat über einen sozialen Ausgleich und diverse öffentliche Leistungen erst die Grundlagen schafft, auf denen sich das einzelwirtschaftliche Kalkül entfalten kann, geriet dabei unter die Räder - bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise. Da dämmerte es vielen,

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