Unterm Strich
sind die Fundamente unserer Demokratie bedroht.
Folgt man dem Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer, wird ein bereits schwelender, ohnehin schon bedenklicher Prozess der sozialen Desintegration durch eine Krise der öffentlichen Finanzen enorm verstärkt. Denn eine Fiskalkrise geht zu Lasten jener öffentlichen Leistungen, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind. Bindekräfte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness werden dadurch weiter unterspült. Der soziologische Befund, dass ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung nicht nur Angst vor sozialem Abstieg, sondern auch Angst vor sozialer Desintegration hat, ist für sich genommen schon beunruhigend. Die Alarmanlage wird aber zu einer Sirene auf dem Dach, wenn es um die Frage geht, wie sich diese Ängste manifestieren. Es gebe, so Heitmeyer, »eine weitverbreitete und wutgetränkte politische Apathie, die vor allem in den unteren, aber auch in mittleren Soziallagen vorhanden ist. Die Menschen sehen zwar die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Veränderung, aber es gibt gleichzeitig eine hoffnungslose Unzufriedenheit. Die Menschen sehen nicht, wie sich etwas ändern kann, und glauben auch nicht daran.«
Es soll hier der Hinweis genügen, dass die Fliehkräfte und Verstörungen in unserer Gesellschaft zunehmen. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist dadurch gefährdet. Angesichts der schärfsten Wirtschaftskrise in der deutschen Nachkriegsgeschichte muss unser Sozialsystem als der entscheidende Stabilitätsanker neu gewürdigt werden (dass es darüber hinaus auch ein positiver Faktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland war und ist, steht auf einem weiteren Blatt). Der Sozialstaat erhält aber Risse,
* wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands im globalen Wettbewerb abnimmt,
* wenn der Kapitaldienst für eine weiter wachsende Staatsverschuldung zunehmend Mittel abzieht,
* wenn die Einzahlungen ins System in ein immer größeres Missverhältnis zu den Leistungen des Systems geraten
- und wenn die Steuer- und Abgabenzahler ihre Bereitschaft zur Solidarität schleichend aufkündigen, weil ihnen zu wenig an Zuwächsen für ihre eigene Lebensführung bleibt. Die Lösung dieser vier Probleme steht ganz oben auf der politischen Agenda. Die entscheidende Frage ist, ob wir sie weiter verdrängen - den Lebensweisheiten des Rheinlands folgend: »Et kütt, wie et kütt« und »Et es noch allet jotjejange«.
Talfahrt der Politik
Die Herausforderungen für die Politik steigen. Das Vertrauen vieler Menschen in die Politik nimmt hingegen ab. Sie bewegt die Frage, ob die Politik diesen Herausforderungen überhaupt gewachsen ist - oder ob die Risse im Fundament nicht auch und gerade durch politisches Versagen oder Unterlassungen entstanden sind und sich weiter vergrößern könnten. Viele Politiker reden zwar von der Krise. Entsprechende politische Aktivitäten bleiben aber aus.
Nun ist die Vorstellung verbreitet, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Steuerungsknöpfe nach wie vor in Reichweite der Nationalstaaten liegen. Eine wie auch immer zusammengesetzte mächtige Zentralregierung in Berlin wäre demnach in der Lage, die Knöpfe so zu bedienen, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Regelkreise reibungslos funktionieren. Das ist ein Trugbild. Alle politischen Parteien basteln an dieser Illusion jedoch fleißig mit, weil sie mit umfänglichen Wahlprogrammen und noch umfänglicheren Parteiprogrammen suggerieren, sie könnten die Verhältnisse zum Besseren wenden, wenn sie mit dem Votum der Wähler nur so können dürften, wie sie wollten.
Tatsächlich liegen aber viele Knöpfe nicht mehr im nationalstaatlichen Zuständigkeitsbereich - entweder weil sie im Zuge der europäischen Integration bewusst an die EU abgegeben oder weil sie uns ohne Einverständnis im Zuge der voranschreitenden Globalisierung abgeschraubt worden sind. Die nationale Politik vermittelt den irreführenden Eindruck einer umfassenden Wirkungskraft, über die sie tatsächlich nur noch in Teilen verfügt. Mehr denn je sind wir darauf angewiesen, Politik über internationale und supranationale Institutionen oder Gremien zu betreiben, in denen wir allerdings einer unter mehreren oder sogar vielen sind. Und selbst mit Europa im Kreuz können wir nur dann Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen gewinnen, wenn wir sehr gut trainiert und koordiniert sind.
Ein ungezügelter Finanzkapitalismus beispielsweise lässt sich durch
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