Unterm Strich
Krisenzeiten - konfrontieren. Wie sollen die Menschen darauf vertrauen, dass Politiker sie durch Fährnisse steuern, wenn diese Politiker zuvor reihenweise als Versager stigmatisiert worden sind? In der medialen Annäherung an die Politik wird ein Wechselbad bedient: die politische Klasse als Hort der Unfähigkeit und Selbstbedienung einerseits und als Feuerwehr und Heilsbringer andererseits, der Staat als Moloch einerseits und als Vollkaskoversicherung gegen alle Widrigkeiten des Lebens andererseits.
D. Zu der überhöhten Erwartung an die Politik - der Kehrseite ihrer Geringschätzung umfassenden Schutz und eine gute Entwicklung zu gewährleisten, gehört auch die Fiktion einer mächtigen Zentralregierung (ich habe darüber im vorigen Kapitel bereits ausführlich beschrieben). Die mediale Vermittlung von Politik tritt nicht der Vorstellung vieler Bürger entgegen, dass mit der Bundesregierung eine Instanz in Berlin sitzt, die allumfassend und durchgreifend alle Verhältnisse regeln könnte, wenn sie sich dazu nur (endlich) aufraffen würde. Die Bedingungen, denen die Politik in unserem Staats- und Gesellschaftsaufbau ausgesetzt und verpflichtet ist, tauchen in der Berichterstattung selten auf. Das Kräfteparallelogramm, in dem sich Politik in Deutschland bewegt, Bündnisse schließen, Rücksichtnahmen üben, Kompromisse schmieden und Ressourcen abgeben muss, entspricht nicht dem Verständnis von Politik, das einige Medien ihrer Kundschaft nahebringen. Das ähnelt eher einem hierarchisch organisierten politischen System, in dem der Bund letztlich auch für die Schlaglöcher der Kreisstraßen, marode Schulgebäude, den Streik der Bahngewerkschaft oder die juristische Verfolgung von einzelnen Bankmanagern zuständig ist und deshalb zumindest emotional dafür verantwortlich gemacht werden kann.
E. Medien sind fixiert auf jeweils aktuelle Ergebnisse und Ereignisse. Unter dem Druck, ständig Neuigkeiten zu produzieren und zu vermarkten, ist bei vielen Journalisten das Verständnis dafür verlorengegangen, dass Politik ein Prozess ist, der nie an einen Schlusspunkt gelangt. Die eine abgeschlossene Wahrheit gibt es nicht. Politik ist auch nicht digital - entweder null oder eins. Es gibt Konditionen, Abstufungen oder Verknüpfungen, die dem medialen Bedarf an Nachrichten ohne Nebensätze und Relativierungen entgegenstehen. Dass politische Verfahren aus einer Vielzahl von Schritten bestehen - zwei vor, zwei seitwärts, einer rückwärts und drei wieder nach vorn - und nicht linear verlaufen, entspricht nicht der Arbeitsweise von Medien, die etwas Griffiges in ihrem Zeitrhythmus verwerten wollen. Sie verkaufen gern Berechnungen, seien diese auch noch so vorläufig, und vermuten Tiefgründiges, wenn sie sich wieder ändern. Dabei ist nur eine neue Variante geprüft worden.
Während laufender politischer Abstimmungen zu Steuerrechtsänderungen, Gesundheitsreformen oder Haushaltsaufstellungen tischen Medien häufig Berechnungen von Be- oder Entlastungen auf, die mit dem tatsächlichen Stand der Beratungen und erst recht mit dem späteren Endergebnis wenig zu tun haben und sich im Rückblick häufig auch als irreführend erweisen. Bis dahin haben sie aber schon die halbe Republik aufgemischt, insbesondere dann, wenn auch noch diverse Experten herangezogen worden sind, um die neuesten Wasserstandsmeldungen aus laufenden politischen Verfahren möglichst alarmierend zu kommentieren. Der politische Prozess von Vorüberlegungen der Ministerialverwaltung mit ihrem Minister über einen Referentenentwurf, einen Regierungsentwurf, einen Kabinettsbeschluss, eine Abstimmung mit Koalitionsfraktionen, Ausschlussberatungen im Bundestag bis zu einer abschließenden Lesung des Bundestages kann sich aber bei größeren Vorhaben leicht über zwölf bis achtzehn Monate erstrecken, in denen sich ständig Veränderungen ergeben. Diese werden medial gern als Revisionen, Rückzüge oder Gesichtsverluste dramatisiert, obwohl sie in einem Abstimmungsverfahren, das den Irrweg vom Lösungsweg zu unterscheiden sucht, völlig normal sind. Der Neuigkeitswert dieser Wasserstandsmeldungen hat eine geringe Halbwertszeit. Dessen ungeachtet wird ihnen häufig die Aura des Spektakulären verliehen. Wenn das jeweilige Presseorgan dann auch noch mit Exklusivität und dem Anstrich hoher Verlässlichkeit seiner Informationen - gern wohlunterrichtete Kreise genannt - aufwarten kann, dann liegt es im Rennen um die Gunst des Publikums vorn. Und darauf kommt es an. Dass
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