Unterm Strich
News auf dem Markt sein. Wenn kein freigegebener Redeentwurf existierte, war das ein Problem. Dann konnte in vielen Fällen gar nicht berichtet werden.
Das kann ich als Folge der Arbeitsweise von Journalisten verstehen. Aber welche Verarmung der politischen Rede ist damit verbunden!
Es geht oft nur nach dem Motto: Wollen Sie wissen, wann der Haushalt ausgeglichen ist? - Dann drücken Sie bitte die Taste eins. Wollen Sie Kanzler werden? - Dann drücken Sie bitte die Taste zwei. Für eine Exklusivmeldung drücken Sie die Taste drei und für eine gezielte Provokation die Taste vier.
Nach drei oder vier Gesprächen mit Zeitungen oder Sendern, die ich nacheinander führte, konnte ich häufig feststellen, dass die Fragen fast alle identisch waren - und meine Antworten dann natürlich auch. Da wird politische Kommunikation zur Konfektionsware. Ab und an wird die Verpackung leicht geändert. Der Inhalt bleibt gleich, natürlich immer auf »hohem Niveau«, aber doch ziemlich steril. Gespräche im eigentlichen Sinne, einen öffentlichen Diskurs, erlebe ich als Politiker wie als Leser oder Zuschauer immer seltener. Der beste »Talk« im Fernsehen, den ich je gesehen habe und der in meinem Gedächtnis tief haften geblieben ist, lief jahrelang ab 1963, als man diesen Begriff in Deutschland noch gar nicht kannte. Das war Zu Protokoll, Interviews von Günter Gaus, der immer nur von hinten zu sehen war, mit jeweils einem Gesprächspartner, der in den Mittelpunkt gerückt wurde. Die meisten rauchten wie die Schlote.
Die Ökonomisierung der Medienlandschaft
Die Medienwelt scheint mir in zwei unterschiedliche Bereiche geteilt zu sein: einen, der im Sinne einer aufklärenden Funktion der Medien und der demokratischen Substanz unserer Gesellschaft gute Arbeit leistet, aber wirtschaftlich um seine Vielfalt und Qualität kämpft, und einen zweiten, der mir nachlässig in der Erfüllung dieser Pflicht vorkommt. Spätestens beim Nachmittagsprogramm mancher privaten Sender kommt man ins Grübeln, ob Privatfernsehen ein Segen oder eher ein Fluch ist. Da rindet regelmäßig eine massive Verdummung und Abstumpfung statt, eine permanente Ablenkung vom eigenen und vom sozialen Leben, von den gesellschaftlichen Wirklichkeiten in Deutschland, teilweise noch angereichert durch die Betonung ziemlich übler Charaktermerkmale. Und all dies wird gerechtfertigt mit einer Ausrichtung am Publikum. »Die Leute sind gar nicht so dumm, wie wir vom Fernsehen sie noch machen werden«, hat Hans-Joachim Kulenkampff einmal gesagt.
Die Medien haben dazu beigetragen, das Gefühl der Beschleunigung im Zuge der Globalisierung auszulösen und wachzuhalten. Nachrichtensender und Online-Dienste haben der Produktion und dem Konsum von Nachrichten eine neue Geschwindigkeit gegeben. Beim Geschäft der Nachrichtenagenturen geht es tatsächlich immer häufiger um Sekunden. Ich kann verstehen, wenn sich Neuigkeiten über Unternehmen, die für Börsenkurse relevant sind, an Sekunden der Veröffentlichung messen, denn die Kunden, die darüber informiert sein wollen, zahlen auch für diese Geschwindigkeit. Die Berichterstattung über politische Prozesse hingegen sollte sich nicht nach Sekunden bemessen, sondern nach inhaltlicher Tiefe. Der Druck, aktuell sein zu müssen, hat fast alles andere verdrängt. Wer aktuell ist, wird zitiert, und wer zitiert wird, kann höhere Anzeigenpreise verlangen. Das ist das Geschäft.
Diese Art des Business macht es allen seriösen, gut und gewissenhaft arbeitenden Journalisten, Redakteuren und Verlegern sehr schwer. Im immer härter werdenden Wettbewerb wird die Quote oder die Auflage zum entscheidenden Kriterium. Selbst die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten verhalten sich in dieser Hinsicht immer öfter wie die privaten. Konkurrenzdruck und gestiegene Erwartungen an die Rentabilität des eingesetzten Kapitals beschleunigen zunehmend den Abbau von Redakteursstellen und das Absenken von Honoraren und Gehältern und führen zu einem Arbeitsalltag von Journalisten, in dem immer weniger Zeit für Recherche und die sorgfältige Bewertung der Inhalte bleibt.
Nicht selten stellen Journalisten Fragen zu Themen, die ihnen völlig unvertraut sind, deren Hintergründe und Vorgeschichte sie nicht kennen. Ihre Redaktionen schicken sie mit kärglichsten Stichworten auf die Piste des politischen Berlin, um »Quotes« buchstäblich einzufangen. Ich habe das oft erlebt mit den journalistischen »Überfallkommandos« auf der Treppe des Reichstags oder
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