Unterm Strich
an anderen Veranstaltungsorten, umlagert von Praktikanten oder »Freelancern«, die eigentlich nur Mikrophon- und Kamerahalter waren. Manchmal beides in einer Person, um Kosten einzusparen.
Weil jede Vorbereitung dem Zeitdruck geopfert wurde, fielen die Fragen dann auch eher grobkörnig und kurz aus. Die Antworten müssen dem ähneln. Den nicht mehr zu schlagenden Rekord einer von jedem Blattwerk und jeder Grammatik befreiten Frage, die fast expressionistische Genialität ausstrahlte, stellte ein Journalist, indem er meines Wissens Gerhard Schröder ein Mikrophon fast in den Mund stopfte und fragte: »Und?«
Das private Fernsehen hat den Geschmack und die Unterhaltung des Publikums längst zum ausschließlichen Maßstab seiner Programmgestaltung gemacht. Es mutet paradox an, dass die Öffnung des Fernsehens für private Medienunternehmen Anfang der achtziger Jahre am stärksten von solchen wertkonservativen politischen Kräften gefördert wurde, die sich heute lautstark über die Geschmacklosigkeiten dieser Kanäle, ihren Einfluss auf einen Werteverfall und eine Verluderung der Sitten beklagen. Den TV-Sendeplätzen von Spiegel, Stern oder SZ ist es zu verdanken, dass die Politik im Privatfernsehen nicht vollkommen verflacht.
Es ist nicht zuletzt das Privatfernsehen, das mit einigen Printmedien Tendenzen befördert, die unter den Stichworten der Banalisierung, Personalisierung und Skandalisierung von Politik zu ihrer Entleerung führen.
Der frühere RTL-Chef Helmut Thoma prophezeit das Absterben des »Staatsfernsehens« - so seine Bezeichnung für die öffentlich-rechtlichen Anstalten. Was das bedeutet, liegt auf der Hand. Die Politik würde im elektronischen Massenmedium des Fernsehens ausschließlich den Verwertungsinteressen von Medienkonzernen unterworfen. Thomas Hinweis, von einer Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens könne keine Rede sein, vielmehr hätten die politischen Parteien sich dieser Anstalten bemächtigt, wird nach dem Fall des früheren ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender niemand abtun können. Einen Rückzug der Parteien aus den Gremien und Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten halte auch ich für erforderlich. Geschieht er nicht freiwillig, wie dies 2002 der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement und die schleswigholsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis mit ihrem Rücktritt aus dem Verwaltungsrat des ZDF vorgemacht haben - ein Schritt, der bisher von anderen nicht vollzogen wurde -, dann muss dies über juristische Initiativen erfolgen. Thomas Zusatz, die öffentlich-rechtlichen Sender seien für die Politiker deshalb da, weil diese sonst überhaupt nicht ins Fernsehen kämen, provoziert die Frage, ob denn das Privatfernsehen wenigstens den Politikern, die etwas zu sagen haben, einen breiteren Raum anbieten würde.
Unter dem wirtschaftlichen Druck ist der Zug längst auf die Schiene gesetzt, Politik als Nebenfach der Unterhaltung zu verstehen und zu servieren. Dazu gehören Veranstalter, die dies medial inszenieren, und Darsteller unter Politikern, die dies in kleinen oder größeren Auftritten mitmachen oder sogar suchen. An beidem herrscht kein Mangel.
In einer Welt, in der ständig und überall in Echtzeit etwas passiert, alles noch komplizierter und spannungsgeladener zu werden scheint, sich viele Verhältnisse einem Durchblick entziehen und politische Antworten häufig objektiv schwer verständlich sind, wachsen die Sehnsucht nach einfachen Formeln und die Aversion gegen politische Informationsüberflutung. Beides bedienen die Medien, indem sie den Nachrichtenteil verflachen. Die Hochzeit der Tochter eines Großbäckers oder der Großbrand in einem Lagerhaus wird wichtiger als eine Debatte im Deutschen Bundestag über das Studenten- oder Schüler-BAFöG. Kompliziertere politische Sachverhalte werden auf Häppchengröße bis zur Unkenntlichkeit oder sogar Verfremdung portioniert. Nicht länger als zehn Zeilen oder 30 Sekunden. Die müssen mit einem kleinen Spaß beginnen, dann 20 Sekunden zur Sache - sei diese auch noch so verzwickt - und schließlich eine kleine Pointe als Abbinder. Richard von Weizsäcker hat in diesem Zusammenhang einmal von der Umkehrung der Wichtigkeiten gesprochen. Herbert Riehl-Heyse, der 2003 verstorbene leitende Redakteur der Süddeutschen Zeitung, interpretierte dieses Phänomen in der medialen Berichterstattung einmal dahingehend, »dass das Missverhältnis zwischen den Dingen,
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