Unterm Strich
hier häufig heiße Luft verkauft wird, ist demgegenüber zweitrangig.
Es gibt politische Ereignisse, die werden medial bereits ausgeschlachtet, bevor sie überhaupt stattgefunden haben. Dafür eignen sich exemplarisch alle politischen »Gipfel« - wobei sich dieses Prädikat nur in den seltensten Fällen die Politik anzieht. Die mediale Inszenierung braucht und kreiert Gipfel, selbst wenn es sich nur um Minister X handelt, der die Kollegin Y trifft, um über Mehrwertsteuersätze für Tierfutter zu reden.
Von erstrangiger Bedeutung ist allerdings, dass die Öffentlichkeit in dem ihr von den Medien vermittelten Verständnis von Politik diese vornehmlich als hektischen Stillstand wahrnimmt. Großes Flügelschlagen, aber es werden kaum Eier gelegt. Diese Öffentlichkeit fühlt sich auf der inzwischen erreichten Entwicklungsstufe der Mediendemokratie von sich überschlagenden Informationen zugeschüttet. Sie wendet sich verwirrt ab und weicht in seichtere, beschaulicher dahinfließende Gewässer aus, erklärt aber nicht die medialen Inszenierungen für verrückt - sondern die Politik. Ich gebe gern zu, dass die politische Klasse an diesem Rennen mitwirkt - mit ihren Schaukämpfen, ihren Ritualen, Wichtigtuereien, ihrem Mitteilungs- und Darstellungsdrang.
F. Man wird von Medien nicht erwarten können, dass sie ihre Kundschaft beleidigen oder überfordern. Aber die Einseitigkeit, mit der sie die Bringschuld bei der Politik abladen, wenn es darum geht, Probleme zu lösen und eine gute Zukunft zu gewährleisten, ist auffällig und bedenklich. Das folgt den hohen Erwartungen an die Kompetenz der Politik, der gleichen Politik, der kurz zuvor Unfähigkeit bescheinigt wurde. Die unterforderte Verantwortung der Bürger, die nicht selten anzutreffende Versorgungsmentalität, die Missachtung öffentlichen Eigentums, die selbstverständliche Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen, die Verletzung der Eigentums- und Gemeinwohlverpflichtung von Unternehmen - all dies verliert sich hinter der hohen Erwartungshaltung gegenüber dem Staat und seinen demokratisch legitimierten Repräsentanten. Dementsprechend wird den Bürgern in der medialen Berichterstattung selten etwas abverlangt. Die Politik muss es bringen. Sie wird danach benotet, was sie verspricht und liefert. Alles, was dabei unter Belästigung - zum Beispiel die Aufforderung an Eltern, ihrem Erziehungsauftrag zu entsprechen und für das Verhalten ihrer Kinder Verantwortung zu übernehmen - oder unter Belastungen - zum Beispiel die Streichung der Entfernungspauschale - gefasst werden kann, eignet sich für medial inszenierte Empörungen. Damit lassen sich ganze »Wutwellen« in Gang setzen.
Wenn aber in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein massiver Anpassungsdruck herrscht, Besitzstände nicht mehr zu garantieren, und herkömmliche Verhaltens- und Denkmuster nicht zukunftstauglich sind, dann wird eine verantwortungsbewusste Politik keine Entspannung oder Entwarnung signalisieren können. Sie wird belästigen und belasten müssen. Über das »Wie« ist zu streiten. Das »Ob« steht für mich außer Zweifel. Nur: Wie gut sind wir darauf medial vorbereitet und eingestellt?
Klar ist: Politiker brauchen Öffentlichkeit, und diese ist nur über mediale Präsenz zu erreichen. Und Medien brauchen - jedenfalls, solange und soweit Politik noch von allgemeinem Interesse ist - Politiker als Protagonisten für Berichte, Interviews und Sendungen sowie als Informanten. Diese politisch-mediale Symbiose wird allerdings immer bedenkenloser als eine wirtschaftliche Zugewinngemeinschaft organisiert, frei nach dem Motto: Was mir nützt, soll dein Schaden nicht sein. Das geht so weit, dass manche Medienunternehmen Politiker vor allem als Ertragsverstärker wahrnehmen. Das Interview dient dann nicht mehr primär dem Diskurs oder der Information, sondern vor allem der Auflagen- und Quotenmaximierung. Die Erwartung ist, dass ein Politiker von einer bestimmten Liga an regelmäßig im eigenen Blatt oder in der eigenen Sendung auftauchen muss, auch wenn man keine einzige neue oder originelle Frage mehr an ihn zu stellen hat.
Ich habe Interviews erlebt, in denen die Frage nur noch das Gerüst für die Aneinanderreihung künftiger Agenturmeldungen war. Bei vielen Veranstaltungen war es Journalisten wichtig, ein Redemanuskript zu bekommen, bevor ich die Rede hielt. Sie interessierten sich gar nicht mehr für das frei gesprochene Wort, sondern wollten rechtzeitig - Zeit ist Geld - mit ihren
Weitere Kostenlose Bücher