Unterm Strich
Prozent ab, ist das ein massiver Vertrauensentzug, und seine Position ist geschwächt. Erhält er 98 Prozent, bekommt er den Vornamen »Erich« angeheftet.
Die Parteien müssen schon selbst darum ringen, welche Funktion, Organisation und Kommunikation sie - jenseits aller programmatischen Anforderungen - zu Beginn des 21. Jahrhunderts benötigen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Aber die Medien werden sich damit ebenfalls beschäftigen müssen, wenn sie nicht einer ohnehin schon zynischen Parteienverdrossenheit mit unzeitgemäßen Schlaglichtern auf die Parteien weiter Vorschub leisten wollen.
B. In Deutschland gelten Kompromisse durchweg als faul. Ich will mich nicht in ideengeschichtliche Ausflüge versteigen und ergründen, ob das etwas mit dem deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts und einer verspäteten Ankunft Deutschlands im Kreis westlicher Demokratien zu tun hat. Aber es ist auffallend, dass nicht nur die politische Sphäre in Kompromissen immer einen Verlust an Durchsetzung sieht, sondern auch die mediale Berichterstattung, ausgehend von einer (willkürlich) gezogenen Ideallinie, vornehmlich den politischen »Verlierer« und das inhaltliche »Defizit« des Kompromisses herausstellt. Kaum eine Koalitionsrunde, eine Reformkommission oder ein Chefgespräch von Ministern entkommt der Lust von Medien, Punktrichter über einen politischen Schlagabtausch zu sein. Das Wort »nachgeben« ist in Kommentaren ein Blattschuss für denjenigen, dem dies klug und angebracht erschien.
Damit wird der Öffentlichkeit ein Bild von Entscheidungsprozessen in einer parlamentarischen Demokratie vermittelt, das den Ausgleich widerstreitender Positionen oder Interessen eher als Schwäche darstellt. Tatsächlich sind die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Kompromiss von konstitutiver Bedeutung für das Funktionieren von Politik und Gesellschaft. Man kann darüber streiten, ob Medien nur ihrem Ethos und ihren Kunden verpflichtet sind oder ob sie auch die Aufgabe haben, die Bedingungen zu erläutern, unter denen Demokratie funktioniert, und einen Kompromiss nicht nach Maximalpositionen oder Ideallinien zu bewerten, sondern in einem fairen Vergleich mit dem Status quo ante. Ich wünsche mir Letzteres.
C. Die regelmäßig durchs Land gejagten Empörungswellen über die Bezahlung der Politiker richten sich nicht nur gegen die etwa 90 Prozent aller gewählten Politiker, die in den Kommunen ehrenamtlich mit einer verhältnismäßig geringen Aufwandsentschädigung tätig sind und keine Diäten erhalten. Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin der viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt verdient weniger als jeder Direktor einer mittleren Sparkasse. Die Bezahlung eines Bundesministers und die Diäten eines Bundestagsabgeordneten - durchschnittliche Arbeitsbelastung zwölf bis vierzehn Stunden sechs bis sieben Tage die Woche - rechtfertigen nicht die Skandalisierung ihrer Bezüge in Boulevardzeitungen und Magazinen. Ich habe mal aus Jux ausgerechnet, dass meine Vergütung als Bundesfinanzminister 35 bis 40 Euro netto pro Stunde war. Für alle Journalisten, die den Politikern Selbstbedienung und Bereicherung nachweisen wollen, sind die Herren Däke vom Bund der Deutschen Steuerzahler und von Arnim, inzwischen emeritierter Professor der Verwaltungshochschule Speyer, empfehlenswerte und auskunftsfreudige Kronzeugen. An ihnen ist jedes Argument verloren. Sie selbst würden nicht im Traum für die Diäten eines Bundestagsabgeordneten antreten. Ebenso wenig wie alle Chefredakteure und Verleger von Publikationsorganen, die mit diesem Thema ihre Leserschaft fesseln wollen. Sie können ihre Vergütung ja durchaus mal transparent machen. Dann ließe sich darüber debattieren, ob sie im Vergleich zu deutschen Spitzenpolitikern auch tatsächlich verdienen, was sie verdienen.
Diese Grundströmung, alle Politiker in einen Sack zu stecken und auf den mit allen zur Verfügung stehenden Verdachtsmitteln zu prügeln, hat nicht nur bigotte Züge. Sie ist schädlich urtd gefährlich, weil sie Ressentiments gegen die Politik weckt und die Politik personell aufzehrt. In einer solchen Atmosphäre sind immer weniger Menschen bereit, sich politisch aktiv zu engagieren. Sie werden von ihrer Umgebung geradezu für verrückt erklärt, wenn sie es dennoch tun.
Das Merkwürdige ist nun, dass dieselben Medien, die der politischen Klasse Attribute anheften, unter denen sich der Boden auftut, diese mit der Erwartung von Höchstleistungen - vor allem in
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