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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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eine etwas zu weitgehende Interpretation ist, lasse ich dahingestellt. Richtig ist, dass Italien - wie auch andere vergleichbare Fälle in Europa - den mit der Entlastung ihres Schuldendienstes einhergehenden Vorteil niedriger Zinsen in der Eurozone nicht genutzt hat, um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft zu verbessern. Die Einführung des Euro wirkte wie ein Ruhekissen.
    Deutschland »profitiert« von eigenen Leistungen, indem es sich über die »Agenda 2010« und die Beiträge von Wirtschaft und Gewerkschaften restrukturiert hat, und von den Unterlassungen oder Fehlentwicklungen in anderen Ländern. Das rechtfertigt keine Kritik an Deutschland, aber auch keine Anmaßung oder Überheblichkeit unsererseits gegenüber diesen Ländern. Das innereuropäische Gefälle bietet vielmehr die Herausforderung, es gemeinsam und für ein starkes Europa zu beseitigen.
    Unabhängig von der Auslandskritik trifft es zu, dass die deutsche Inlandsnachfrage chronisch schwach ist. Zwischen 2005 und 2008 wurde der Konjunkturmotor nicht durch privaten Konsum, sondern vielmehr durch Exporte und Ausrüstungsinvestitionen auf Touren gebracht. Die Auslandsnachfrage dürfte aber nicht so schnell wieder das Niveau der Zeit vor der Finanz- und Wirtschaftskrise erreichen. Länder mit größeren Leistungs- und Haushaltsdefiziten werden ihre Auslandsnachfrage zu drosseln suchen. In diesem Kreis finden sich aber viele der Haupthandelspartner Deutschlands. Die Schwellenländer werden diese Ausfälle selbst unter der Annahme eines weiteren kometenhaften Aufstiegs nicht vollständig kompensieren können, aber gleichzeitig als Wettbewerber im globalen Geschäft immer mehr auftrumpfen und uns eine Scheibe des Kuchens streitig machen wollen. Abgesehen davon, dass die Weltwirtschaft und der Welthandel unter der Trefferwirkung der Finanz- und Wirtschaftskrise ohnehin nicht so schnell wieder Tempo aufnehmen und Höhenflüge erreichen werden, ist damit zu rechnen, dass Deutschlands Anteil am Weltmarkt nicht mehr wachsen wird. Wir werden erhebliche Anstrengungen auf uns nehmen müssen, um ihn auch nur zu halten. Selbst das erscheint manchen unwahrscheinlich.
    Deutschland ist also gut beraten, sich mit seiner Exportabhängigkeit selbstkritisch auseinanderzusetzen. Nicht im Sinne einer Schwächung seiner Exportposition, sondern im Sinne einer Stärkung seiner Binnennachfrage. Die Auslandskritik an der deutschen Exportkraft, die andere Länder in Mitleidenschaft ziehe und für innereuropäische Ungleichgewichte verantwortlich sei, mag übertrieben sein und von eigenen Versäumnissen ablenken, aber sie liefert einen nicht unwillkommenen Anstoß, die beiden sehr unterschiedlich entwickelten Beine zu betrachten, auf denen die deutsche Wirtschaft läuft: das lange, kräftige Bein einer ausgeprägten Exportstärke und das verhältnismäßig kurze, an Muskelschwäche leidende Bein der Binnenwirtschaft - präziser: des privaten Inlandsverbrauchs, der etwa 60 Prozent der Binnennachfrage ausmacht. Wenn sich die Exportaussichten aber eintrüben, was ich für eher wahrscheinlich halte, dann wäre es politisch unverantwortlich, der Frage auszuweichen, ob Deutschland ein neues Wachstumsmodell braucht.

    Europa steht vor einer steil ansteigenden Staatsverschuldung wie vor der Eigernordwand. Realistischerweise ist nicht damit zu rechnen, dass die Pegelstände der Verschuldung in den nächsten Jahren deutlich sinken. Im Gegenteil: Acht Länder des Euroraums werden inzwischen wegen ihrer wachsenden Schuldenstände und jährlichen Budgetdefizite als hohe Risikokandidaten gehandelt. Sechs Länder sehen sich nicht dramatisch, aber dennoch als problematisch eingestuft. Lediglich Luxemburg, Schweden und das neue Euroland Estland werden auf der sichereren Seite angesiedelt. Indizien deuten daraufhin, dass nicht nur vier der fünf gewichtigsten europäischen Volkswirtschaften - Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien - mit entweder hohen jährlichen Haushaltsdefiziten von über 10 Prozent oder hohen Schuldenständen von über 80 Prozent ihres BIP, sondern wahrscheinlich auch Deutschland Schwierigkeiten haben wird, die Auflagen und Fristen der jeweiligen Defizitverfahren nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zu erfüllen. Je stärker dies den Regierungen dämmert und je unausweichlicher das Eingeständnis, die verabredeten Ziele zu verfehlen, der versammelten politischen und medialen Artillerie ausgesetzt ist, umso trickreicher und kunstfertiger werden ihre

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