Unterm Strich
Anstrengungen sein, den Stabilitätspakt zu unterlaufen oder sogar zu suspendieren. Deutschland war daran schon einmal im Jahr 2003 während der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder aktiv beteiligt. Wir organisierten mit Frankreich eine Sperrminorität, um ein gegen uns gerichtetes Defizitverfahren zu vereiteln. Für die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspaktes war es deshalb umso bedeutender, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und ich noch während der laufenden Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD dem EU-Währungskommissar Joaquin Almunia in einem »Geheimtreffen« am 3. November 2005 auf dem militärischen Teil des Tegeler Flughafens zusagten, Deutschland werde sich einem erneuten Defizitverfahren unterziehen und sei bereit, seine Vorbildrolle wahrzunehmen.
Sollte der Stabilitäts- und Wachstumspakt einem schleichenden Erosionsprozess unterworfen werden, weil sich einzelne Länder davon eine Entlastung von notwendigen Konsolidierungsanstrengungen versprechen, dann bliebe das nicht folgenlos für die Stabilität des Euro. Dann war Griechenland nur ein kleiner Gruß aus der kalten Küche, ein Vorgeschmack dessen, was dem Euro sonst noch passieren könnte, wenn es wirklich heiß wird.
Die Hoffnung, dass hohe Wachstumsraten Europa wie ein Deus ex Machina aus dieser Schuldenfalle befreien und uns unangenehme Eingeständnisse ersparen werden, teile ich nicht. Das ist ein Wunschglaube. Das ist Augenwischerei, mit der die Politik sich selbst und ihre Wählerschaft arglos halten will. Zu hoffen ist, dass es eine (langsame) wirtschaftliche Erholung geben wird. Aber im Schweif dieser Finanz- und Wirtschaftskrise werden die Wachstumsraten der nächsten Jahre in den europäischen Staaten nicht die Größenordnung gewinnen, die das jeweilige Verschuldungsproblem auf ein »Normalmaß« verringert - geschweige denn löst. Abgesehen davon, dass selbst ein bescheidenes Wirtschaftswachstum schon drei- bis viermal verfrühstückt worden ist - in Deutschland durch die Ankündigung zusätzlicher Forschungs- und Bildungsausgaben, durch (aufgeschobene?) Steuersenkungspläne, versprochene Zuschüsse zur Sozialversicherung und entwicklungspolitische Verpflichtungen (die Erfüllung der sogenannten ODA-Quote) mindestens viermal, nachdem der Sozialausgleich im Rahmen einer Kopfpauschale im Gesundheitswesen mit derselben über Bord gekippt worden ist. Wenn wir aber nicht aus der Last der Staatsverschuldung quasi herauswachsen, dann schleicht sich eine nur auf den ersten Blick faszinierende Variante in die politischen Kanzleien: Inflation.
Die Versuchung könnte in der Tat größer werden, angesichts des immensen Schuldenberges höhere Inflationsraten zumindest billigend in Kauf zu nehmen, um wenigstens etwas Ballast abzuwerfen. Dazu muss man nur die enorme Liquidität, die im Zuge des Krisenmanagements in die Märkte gepumpt worden ist, dort belassen und die ohnehin schwierige Übung unterlassen, die Zahnpasta etwa durch Leitzinserhöhungen wieder in die Tube zu praktizieren. Eine fortwährende Niedrigzinspolitik der US-Zentralbank, die im Übrigen die EZB daran hindern würde, ihrerseits die Zinsen zu erhöhen, könnte weiterhin für billiges Geld sorgen. Sobald die Produktionskapazitäten dank einer schrittweisen Erholung annähernd ausgelastet sind und das billige Geld die Nachfrage weiter beflügelt, springen die Inflationsraten an. Natürlich fällt es bei Niedrigzinsen immer schwerer, Käufer für die Jumbos von Staatsanleihen zu finden. Den Ausweg aus diesem Dilemma hat die US-Zentralbank, die Federal Reserve Bank, aber schon längst beschritten. Sie selbst kauft diese Staatsanleihen auf, so wie sie das auch schon mit den Schuldscheinen der staatlichen Hypothekeninstitute Fannie Mae und Freddie Mac gemacht hat. Auf diesem Weg kommen die Schwungränder der Notenpresse von ganz allein in Gang.
Es gibt eine Reihe von Kommentaren dramatischen Inhalts, die in der Perspektive dieses Jahrzehnts eine Hyperinflation mit zweistelligen Raten an die Wand malen. Stutzt man diese Horrorszenarien auf ein Normalmaß, bleibt unter dem Strich, dass die mittelfristige (!) Gefahr einer weltweiten Inflation nicht von der Hand zu weisen ist, während sich am kürzeren Ende einige eher mit Deflationsgefahren beschäftigen. Eine Inflation im Verlauf des anbrechenden Jahrzehnts wird einerseits als konsequente Folge der Krisenbekämpfung durch eine Politik des extrem billigen Geldes für wahrscheinlich gehalten. Andererseits wird der Politik -
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