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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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Zweiklassengesellschaft zu zerfallen. Sein Ehrgeiz, der wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt zu werden, ist offensichtlich größer als seine Kraft und seine Talente, dies auch zu verwirklichen. »Der Euro ... wird jetzt einem Härtetest unterzogen, der auf den weichen politischen Kern seiner Konstruktion zielt: die nicht ausreichende politische Integration Europas. Es geht also für die EU um sehr viel mehr als um die Zahlungsfähigkeit Griechenlands.«
    Die Institutionen Europas arbeiten schwerfällig. Die Außenvertretung der EU in der Spitze ist unübersichtlich, das Personalangebot weder meisterschaftsverdächtig noch besonders respekteinflößend in der Welt. Die empfindet Europa als buntes Allerlei und führungslos. Sie sieht in Europa inzwischen eher ein Anhängsel als einen Kraftprotz mit Vorstößen, die man nicht ignorieren kann. Wenn jetzt auch noch die demokratische Substanz durch den Raumgewinn ultrarechter Bewegungen in manchen EU-Staaten - in Ungarn spricht man nach dem Ausgang der Wahl im April 2010 von einem »Weimarer Syndrom« - oder durch ein diffuses Verhältnis zwischen einem bürgerlich-konservativen Lager und neofaschistischen Kräften wie in Italien in Gefahr geriete, wenn nationalistische und separatistische Töne an Lautstärke gewinnen und darüber die politischen Systeme innerhalb Europas wieder auseinanderdriften sollten, dann wird sich dieser Kontinent sogar noch mit Herausforderungen beschäftigen müssen, die er längst für überwunden hielt.
    Diese Schwächen Europas treten umso deutlicher in einer Phase hervor, in der weite Teile der europäischen Öffentlichkeit nicht gerade von einer Welle der Begeisterung für Europa erfasst sind. Im günstigsten Fall sind sie an europäischen Fragen desinteressiert und fallen als Antreiber der Europapolitik in ihren Ländern aus. Viel besorgter stimmt die übergreifende, bis zu einer ablehnenden Haltung reichende Skepsis. Sie richtet sich weit weniger gegen die Idee eines demokratischen, sozialen und friedfertigen Europa als vielmehr gegen die EU als ihren institutionellen Ausdruck. In Deutschland verspricht jede populistische Anspielung auf die Zahlmeisterrolle in Europa eine politische Rendite - wie erst jüngst im Krisenfall Griechenland zu beobachten war. Aber es eignen sich auch andere festsitzende Vorurteile, um als deutscher Ritter gegen den »Teuro«, die EU-Bürokratie oder die Vernichtung von Arbeitsplatzen im Zuge der europäischen Integration den Beifall des Publikums zu erheischen. Fakten spielen da keine Rolle.
    Um die Bürger gegen nationalistische Parolen und gegen Töne auf dem Klavier der Vorurteile zu immunisieren, sie für europäische Angelegenheiten zu interessieren und letztlich als Promotoren zu gewinnen, bedarf es einer Revitalisierung des europäischen Projekts. Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung! Es geht auch und insbesondere um den Entwurf eines neuen europäischen Sozialmodells, das unter den Bedingungen von Globalisierung, demographischem Wandel, Einwanderung und Ökologie gleichermaßen befähigt und schützt. Anthony Giddens, der frühere Direktor der London School of Economics, hat dazu unter der Überschrift »Ein neues Europäisches Sozialmodell« 2006 nachlesenswerte Impulse gegeben. Auf der politischen Ebene haben meine früheren Finanzministerkollegen Gordon Brown und Pär Nuder im April 2006 ein Papier unter dem programmatischen Titel »Social Bridges« vorgelegt. Das war insofern bemerkenswert, als sich ein Vertreter des skandinavischen Wohlfahrtsstaates Schweden mit einem Vertreter der angelsächsischen Markttheologie zusammensetzte, um ein Plädoyer zu verfassen, in dessen Mittelpunkt die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, Aufstiegsmobilität und soziale Teilhabe standen. Leider blieb dieser Vorstoß folgenlos, nachdem Gordon Brown von Downing Street Nr. 11 ein Haus weiter in seine Residenz als neuer britischer Premierminister zog, Pär Nuder mit der Sozialdemokratischen Partei in Schweden abgewählt wurde und die Finanzkrise alle Aufmerksamkeit beanspruchte.
    In der Fortentwicklung des europäischen Sozialmodells - dessen Kernziele ein solidarisch finanziertes Sozialversicherungssystem, der Zugang aller Bürger zu Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, eine Wirtschaftsdemokratie mit Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Mitbestimmung am Arbeitsplatz sowie ein sozialer Dialog sind - liegt nicht nur eine Chance, die Bürger wieder neugierig auf Europas

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