Unterm Strich
abjage und bei einer hohen Sparquote zu wenig konsumiere. Dementsprechend importiere es nicht in hinreichendem Maße ausländische Waren, woraus wiederum folge, dass viele Länder im Euroraum mit ihren Angeboten in Deutschland nicht auf einen grünen Zweig kämen, sondern vielmehr auf die abschüssige Bahn von Leistungsbilanzdefiziten.
Einiges an dieser Kritik mutet konstruiert an, wenn man daran denkt, dass die Sparquote in Deutschland nicht zuletzt infolge von Unsicherheiten aus der Krise zwar hoch ist, aber in Frankreich sogar noch etwas höher liegt. Zwar ist richtig, dass die Reallöhne in Deutschland seit einigen Jahren mehr oder weniger stagnieren und die Lohnkosten, indexiert auf das Jahr 2000 (- 100), kaum gestiegen sind (2009 = 106), während sie in anderen europäischen Ländern einen steilen Verlauf nach oben nahmen (Italien, Portugal, Spanien und Griechenland auf über 130). Aber Wettbewerbsvorteile auf der Basis seiner Lohnkosten (Bruttolöhne plus Lohnzusatzkosten), die nach wie vor im oberen Viertel der 27 EU-Staaten liegen, hat Deutschland bisher noch niemand nachgesagt. Eine andere Lesart der Kritik legt die absurde Konsequenz nahe, Deutschland möge seine Wettbewerbsfähigkeit doch bitte etwas zurückschalten, damit die Abstände im europäischen Feld nicht zu groß werden. Sie weist eher auf Unterlassungen und Versäumnisse in den Ländern der Kritiker hin. Und schließlich steckt in der Kritik ein Teil, der uns in der Tat zu schaffen machen sollte: die verhältnismäßig schwache Inlandsnachfrage - genauer: der private Konsum - in Deutschland.
IWF und EU-Kommission mahnen denn auch eine Stärkung der Binnennachfrage in Deutschland an. Sie tun dies immerhin in der Erkenntnis, dass Deutschland darüber nicht seine Wettbewerbsfähigkeit schwächen sollte, weil sich dies letztlich auf die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Eurozone und EU negativ auswirken würde. Das trifft zweifellos zu. Aber die sich anschließenden Empfehlungen bergen Zündstoff für die innenpolitische Debatte. So rät der IWF zu weiteren Reformen des Arbeitsmarktes und zu einer Förderung des Dienstleistungssektors, was im Kern auf eine Liberalisierung hinausläuft. Den deutschen Bankensektor hält er für teilweise unterkapitalisiert und legt insbesondere eine Konsolidierung der »strukturell unprofitablen« Landesbanken nahe. Damit liegt er weitgehend auf der gleichen Linie wie die EU-Kommission, die eine Förderung der schwachen deutschen Inlandsnachfrage durch mehr Wettbewerb im Dienstleistungssektor, Steuererleichterungen und eine extensivere Kreditvergabe anregt. Ihr Vorschlag, die Steuern zu senken, beißt sich allerdings mit der unzweideutigen Mahnung des IWF, Deutschland möge zügig die Konsolidierung seiner Staatsfinanzen vorantreiben.
Niemand wird allen Ernstes von Deutschland eine Art Fastenzeit in seinen Exportaktivitäten erwarten können. Die deutsche Exportindustrie wird sich an Konkurrenten aus China und den USA ausrichten müssen und nicht darauf warten können, dass europäische Partnerländer aufholen und den Anschluss schaffen.
In der Fixierung auf den Überschuss der Leistungs- und Handelsbilanz geht verloren, dass Deutschland nicht nur nach mehreren Jahren auf dem Weltmeisterschaftsthron immer noch Vizeweltmeister im Export ist, sondern auch - nach den USA - Vizeweltmeister im Import. Mit anderen Worten: Deutschland leistet mit seiner Auslandsnachfrage - im Gegensatz zu den anderen gewichtigen Handelsnationen - einen erheblichen Beitrag zur Stützung der wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern. Der Import von Waren in einem Wert von über 870 Milliarden Euro entspricht 35 Prozent der gesamten deutschen Inlandsnachfrage. Im Falle Frankreichs sind es demgegenüber nur 24 Prozent und im Falle des Vereinigten Königreichs nur 23 Prozent.
Die strukturelle Exportschwäche Frankreichs ist kein Phänomen der letzten Jahre, in denen Deutschland seine Stärke unfair hätte zur Geltung bringen können. Der französische Export in die heutigen Länder des Euroraums geht bereits seit 20 Jahren schrittweise zurück. In den aufsteigenden Wirtschaftsregionen der Welt ist der französische Export deutlich unterrepräsentiert. Dies korrespondiert mit einer Erosion der industriellen Basis Frankreichs. Der industrielle Sektor trägt dort nur noch zu etwa 10 Prozent zum BIP bei. Den Vorschlag meiner geschätzten früheren französischen Kollegin Christine Lagarde, Deutschland solle die Steuern senken, um seine
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