Unterm Strich
keineswegs zuallererst im Euroraum - unterstellt, sie könnte eine inflationäre Entwicklung zulassen oder sogar aktiv betreiben. Ein solcher Weg passe einfach zu gut zu ihrer Grundausstattung, im Zweifelsfall immer den Weg des geringsten Widerstands zu suchen und zu wählen. Denn in der Tat müsste sie dann nicht mit fiskalpolitischen Maßnahmen gegen die Verschuldung ankämpfen, was zwangsläufig bedeutete, weit über eine Wahlperiode hinaus auf politische Wohltaten zu verzichten und schmerzliche Einsparmaßen mit einem hohen Konfliktpotenzial durchzusetzen.
Der Chefvolkswirt des IWF, Oliver Blanchard, fütterte diesen Verdacht im Februar 2010 geradezu kongenial mit der Einlassung, das Inflationsziel könne doch von 2 auf 4 Prozent erhöht werden. Das stieß in einigen Hauptstädten keineswegs auf Abscheu und Empörung. Allerdings nahm er damit zum Entsetzen einiger Notenbankgouverneure einschließlich des Bundesbankpräsidenten Axel Weber den Deckel vom Topf. Mit wachsendem Problemdruck aus den exzessiven Staatsverschuldungen kann sich daraus eine Rallye entwickeln, in der sich noch weit höhere Inflationsziele gegenseitig zu überholen suchen und als Königsweg zur Befreiung von dem Übel der Staatsverschuldung anbieten.
Ich will mich nicht in einem volkswirtschaftlichen Seminar über die giftigen Wirkungen einer Inflation oberhalb eines akzeptablen Wertes von 2 Prozent verlieren. Kernpunkt aller Einwände ist, dass die Sparer die Zeche zahlen und diejenigen belohnt werden, die auf Pump gelebt haben - Staaten, Unternehmen, Privatpersonen. Wenn aber die wichtigste Währung des Finanzwesens - nämlich Vertrauen - verlumpt, dann wird es auf lange Zeit auch keine Sparer mehr geben, die mit ihren Einlagen die ganze Maschinerie ölen. Sie werden nicht auf Dauer die Deppen sein wollen. Sie werden ihr Geld nicht einmal unter der Matratze horten. Sie verschulden sich selbst, weil die Inflation ihre Schulden teilweise tilgt. Dafür, wie anfällig und abhängig aber eine Gesellschaft ohne oder mit einer nur sehr geringen Ersparnisleistung wird, gibt es aktuell sehr eindrucksvolles Anschauungsmaterial. Bei einer jährlichen Inflationsrate von 4 Prozent ist das Geld in zehn Jahren nur noch die Hälfte wert. »Wenn Löhne, Renten und Zinsen nicht rasch genug angepasst werden, droht Kaufkraftverlust - bei zu schneller Anpassung der Übergang zur galoppierenden Inflation mit wachsender Arbeitslosigkeit.« Inflation ist eine sehr gefährliche Variante unter den Auswegen, die niederdrückenden Gewichte der Staatsverschuldung leichter schultern zu können.
Nun stehen die Unabhängigkeit der EZB und ihr primäres Mandat, Geldwertstabilität in der Eurozone zu gewährleisten, einer eskalierenden Inflation des Euro zunächst einmal entgegen. Ob und inwieweit dies der EZB in einem hochansteckenden internationalen Umfeld und bei einer disparaten (Preis-)Entwicklung innerhalb des Euroraums auch praktisch gelänge, steht auf einem anderen Blatt. An der Mandatstreue der EZB ist jedenfalls nicht zu zweifeln. In Deutschland spielen ferner die historischen Erfahrungen mit einer Hyperinflation und ihren politischen Folgen sowie mit der mehrfachen Vernichtung von Vermögen eine Rolle. Diesen Erfahrungen folgte der D-Mark-Patriotismus der Nachkriegszeit. Das prägt bis heute Mentalitäten, die sich in Meinungsumfragen ausdrücken. Danach wird der Bekämpfung der Staatsverschuldung inzwischen eine weitaus höhere Priorität zugewiesen als der Senkung von Steuern. Insofern dürfte der Politik in Deutschland eine Komplizenschaft auf dem Weg in eine höhere Inflation viel eher und stärker um die Ohren fliegen als in anderen Ländern.
Wenn dieser Ausweg aber versperrt ist, dann bleibt nur die Kärrnerarbeit, den Staatshaushalt Schritt für Schritt zu konsolidieren. Das erfordert nichts Geringeres als einen Politikwechsel und im Führungsstil klare Botschaften an die Bürger. Die Zeiten für Lockangebote der Politik einerseits und von Wunschzetteln an die Politik andererseits sind auf Jahre vorbei.
Europa ist zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts alles andere als in einer guten Verfassung. Es ist sich seiner zukünftigen Rolle in der Welt und insbesondere gegenüber seinen unmittelbaren Nachbarn im Osten und dem Nahen Osten nicht gewiss. Es hat keine konzise Vorstellung davon, wie viele Anbauten sein Haus eigentlich noch verträgt. Über exzessive Staatsverschuldungen und divergierende Wettbewerbsstärken droht Europa in eine
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