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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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Inlandsnachfrage so anzukurbeln, dass darüber die Nachfrage nach beispielsweise griechischen, spanischen oder französischen Produkten steige und die Handelsbilanzen in den Herkunftsländern eine ausgleichende Tendenz erfasse, betrachte ich mit einem leichten Augenzwinkern. Denn zum einen ist der Druck aus Brüssel spürbar, Deutschland solle seinen öffentlichen Haushalt so schnell wie möglich konsolidieren. Und zum anderen führt selbst ein Steuersatz von null mit einer entsprechenden Stärkung der Kaufkraft nicht zu einer einigermaßen ausgeglichenen Handelsbilanz, wenn die ausländischen Produkte nicht wettbewerbsfähig sind, den Konsuminteressen deutscher Käufer nicht entsprechen oder ihnen schlicht nicht gefallen.
    Um die Jahrtausendwende wurde Deutschland das Signum des »kranken Mannes« Europas verliehen - verkarstet, alt, müde und einfallslos. Das britische Wirtschaftsmagazin Economist spielte diesen Ball nicht ohne eine gewisse Genugtuung angesichts der Entzauberung des deutschen Kraftwerks, hatte doch das Vereinigte Königreich gelegentlich unter einem Vergleich mit ihm zu leiden. Dasselbe Wirtschaftsmagazin veröffentlichte in seiner Ausgabe vom 15. März 2010 einen Artikel mit der Überschrift »Europe's Engine: Living with a Stronger Germany«. Der Economist dürfte ein unverdächtiger Kronzeuge in seinem Urteil sein, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit durch eine Reihe von Reformen und mit Beiträgen von Wirtschaft und Gewerkschaften revitalisiert hat, die erkennbar in anderen europäischen Ländern unterblieben sind - aus welchen Gründen auch immer. Dies wird man aber Deutschland kaum zum Vorwurf machen können.
    Während Chinas Wettbewerbsposition auch auf eine unterbewertete Währung zurückgeführt werden kann, trifft auf Deutschland der gleiche Vorwurf, auch unter Bezug auf eine unangemessen niedrige Lohnentwicklung, nicht zu. Vielmehr haben diverse europäische Länder ihre Löhne in den letzten zehn Jahren zum Teil weit über ihre Produktivitätsentwicklung erhöht und damit zuallererst selbst zu einer nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit beigetragen.
    Einige europäische Länder haben auch die Zinsen in der Währungsunion als Ruhekissen missverstanden. Italien beispielsweise hat Mitte der neunziger Jahre vor Einführung des Euro auf seine Staatsschuld von damals etwa 1200 Milliarden Euro mehr als 115 Milliarden Euro Zinsen zahlen müssen. Italienische Staatsanleihen mussten erhebliche Risikoaufschläge hinnehmen, um die Käufer gegen höhere Inflations- und Abwertungsrisiken der italienischen Lira vergesslich zu stimmen. Nominalverzinsungen italienischer Staatspapiere von 14 Prozent waren keine Ausnahme. Diese hohen Zinssätze schraubten das Staatsdefizit Italiens höher, was wiederum die Zinssätze für die Platzierung der nächsten Tranchen von Staatsanleihen nach oben trieb und so weiter. Ein Teufelskreis. Dann kam der große Auftritt des Euro mit einem Stabilitätsversprechen, das Risikoaufschläge hinwegfegte. Seine Einführung signalisierte, dass italienische - wie auch griechische oder portugiesische - Staatsanleihen genauso solide Anlagen sind wie deutsche. Daraufhin sanken deren Kreditkosten. Statt der 115 Milliarden Euro Zinsen auf eine Staatsschuld von 1200 Milliarden Euro Mitte der neunziger Jahre zahlte Italien nach Einführung des Euro nur noch 80 Milliarden Euro Zinsen auf eine inzwischen gewachsene Staatsschuld von 1600 Milliarden Euro. Das kam einem Märchen gleich.
    In Briefwechseln bemühte sich der frühere Vorstandsvorsitzende der Thyssen AG, Dieter Spethmann - ein ausgewiesener Euroskeptiker -, mir nicht nur diese sagenhafte Eurodividende für Italien zu erklären. Er rechnete mir auch aus, dass Italien im Jahr 2002 im Vergleich zum Jahr 1992 rund 78 Milliarden Euro an Zinsen auf seine Staatsschuld eingespart habe (andere Mitglieder der Eurozone in der prinzipiell gleichen Lage wie Italien hätten nochmals 38 Milliarden Euro eingespart). Er wies mich darauf hin, dass es nach der Einführung des Euro in Italien sogar Zeiten eines negativen Realzinses gegeben habe - anders als in Deutschland, wo die Inflationsrate immer unter den für die gesamte Eurozone geltenden Zinssätzen der EZB gelegen hat. Darüber sei Deutschland ziemlich benachteiligt worden, während gleichzeitig die Einführung des Euro letztlich die in alten Lirazeiten drohende Zahlungsunfähigkeit Italiens mit abgewendet und zur Sanierung des italienischen Staatshaushalts beigetragen habe.
    Ob das

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