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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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Sperrwerke im Raum und verhindern den Durchbruch zu einer umfassenden und problemadäquaten Neuordnung der globalen Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen.
     

    Mittwoch, 18. Februar 2009
    An diesem Tag beschloss das Bundeskabinett eine Ergänzung zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz mit dem Ziel einer Übernahme der HRE in Staatseigentum. Der Bund hatte diese Bank seit Oktober 2008 mit Garantien in Höhe von 87 Milliarden Euro unterstützt. Der Bankensektor stellte seinerseits Garantien von weiteren 15 Milliarden Euro zur Verfügung, um eine Zahlungsunfähigkeit abzuwehren. Die Börsenkapitalisierung der Bank betrug demgegenüber Mitte Februar bei einem Wertverlust von minus 93 Prozent im Vergleich zum Vorjahr nur noch etwa 250 Millionen Euro. Eine Insolvenz war angesichts der Systemrelevanz der HRE mit einer Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro keine Option. Die Liquiditätssituation der Bank spitzte sich immer weiter zu.
    In dieser Lage kam nur ein Übergang der Bank auf den Bund entweder mit Zustimmung der bisherigen Eigentümer oder für den Fall, dass dieser Weg der Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führen würde, über eine Enteignung in Frage. 49 Prozent der Aktien lagen im Streubesitz, der größte Finanzinvestor, Flowers, hielt rund 24 Prozent. Der fachliche Rat, den ich einholte, lief darauf hinaus, dass eine solche Operation unter den Aspekten der Restrukturierung der Bank, ihrer Refinanzierung und der Entlastungswirkung für ihre Eigenkapitalausstattung zwingend erforderlich war.
    Hätte das Bundeskabinett meine Kabinettvorlage am 18. Februar 2009 nicht gebilligt oder verschoben und der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf nicht am 20. März 2009 verabschiedet, wäre ich als Bundesminister der Finanzen zurückgetreten. Ich war nicht bereit, die Verantwortung für eine Bank zu tragen, bei der 87 Milliarden Euro Garantien des Bundes lagen, ohne dass die Voraussetzungen für eine Stabilisierung dieser Bank gegeben waren. Die Abhängigkeit von einer Hauptversammlung und - selbst bei einer Dreiviertelmehrheit des Bundes in der Hauptversammlung - von Minderheitsaktionären mit dem Potenzial erheblicher Störmanöver musste aus meiner Sicht beendet werden; notfalls durch Enteignung auf der Basis einer Entschädigung nach dem Verkehrswert der Anteile.
    Was aus meiner Sicht in der Verantwortung für öffentliches Geld zwingend geboten schien und von der US-amerikanischen und britischen Regierung mehrfach praktiziert worden war, stellte sich für Teile des Koalitionspartners CDU/CSU nicht etwa als Akt der Vernunft, sondern als ein prinzipieller Eingriff in unsere Eigentumsordnung dar und rüttelte an den Grundfesten ihres ordnungspolitischen Weltbildes. In mehreren Sitzungen sperrte sich insbesondere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gegen den Kern meines Gesetzentwurfs, nämlich eine Transaktionssicherheit zu erreichen, mit dem Ergebnis einer Kontrolle über die Bank im Interesse des Staates und seiner Steuerzahler. Er wollte meinen Vorschlag so weit befrachten, dass es nie zu einem Enteignungsakt hätte kommen können, womit dem Gesetzentwurf jeder Biss genommen worden wäre.
    Erst am Vorabend der Kabinettssitzung vom 18. Februar 2009 wurde dieser Konflikt in einer Ministerrunde bei Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere gelöst. Es blieb im Kern bei der Kabinettvorlage - mit einer vorgeschalteten Schleife vor einem möglichen Enteignungsakt. Das Gesetz wurde zeitlich befristet, und mehrere Ressorts erhielten den Auftrag, den Vorschlag für ein besonderes Insolvenzrecht zur Restrukturierung von (systemrelevanten) Banken vorzubereiten. In der angespannten Lage der HRE und des gesamten Umfelds war ich fest entschlossen, Konsequenzen zu ziehen, wenn es nicht zu dieser tragfähigen Lösung gekommen wäre.
    In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 6. März 2009 verirrte sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Otto Solms in Übertreibungen und Verzeichnungen, die mir in Erinnerung geblieben sind. Statt eine angemessene Kritik an der Bundesregierung zu formulieren, packte er sein ideologisches Rüstzeug aus: Das Gesetz stelle die Grundlagen unserer Wirtschaftsverfassung zur Disposition, die Bundesregierung zerstöre ein Grundrecht, es handle sich um einen Eingriff in unsere Rechtsordnung. Heute dürfen wir alle feststellen, dass weit und breit keine »rechtliche Zerstörung« zu sehen und die Rechtsordnung nach wie vor intakt ist.
    Die Aufregungen der Aktionäre der HRE waren allerdings noch absurder. Sie wurden ja nicht

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