Unterm Strich
über die Lage der Finanzmärkte in Deutschland ein. Nach meiner Erinnerung nahmen daran teil: Josef Ackermann (Deutsche Bank), Klaus-Peter Müller (als Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken), Martin Blessing (Commerzbank), Paul Achleitner (Finanzvorstand der Allianz AG), Axel Weber (Bundesbank), Staatssekretär Jörg Asmussen und der Abteilungsleiter im Kanzleramt, Jens Weidmann. In diesem Kreis bestand Einigkeit, dass wir uns künftig in Deutschland nicht mehr von Krisenfall zu Krisenfall aufreiben könnten. Vielmehr müsste eine systematische, bankenübergreifende Lösung zur Stabilisierung des Finanzsystems gefunden werden.
Von einigen Vorüberlegungen abgesehen, war dieser Abend die Geburtsstunde des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, dessen Entwurf bereits eine Woche später im Kabinett beschlossen wurde. Bundestag und Bundesrat verabschiedeten den Entwurf in ihren Sitzungen am 17. Oktober 2008 und dokumentierten in einer Krisensituation eine Handlungsfähigkeit der Verfassungsorgane, die kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Am späten Abend des 6. Oktober 2008 trafen der Chef des Bundeskanzleramts, Thomas de Maiziere, der Chef der BaFin, Jochen Sanio, und ich mit dem Vorstandsvorsitzenden der Hypo Real Estate, Georg Funke, zusammen. Hier schweigt des Sängers Höflichkeit über Einzelheiten. Nur so viel: Eine solche Mischung aus Realitätsverweigerung, Selbstüberschätzung und Verständnislosigkeit gegenüber den Vorgängen der vergangenen Tage bei einem Mann, dessen Bank gerade mit 50 Milliarden Euro fremden Geldes gerettet worden war, ist mir in meinem Leben nicht wieder begegnet. Thomas de Maiziere nahm zur Schonung meines Nervenkostüms eine ziemlich unerbittliche Position ein. Nach Beendigung des Gesprächs waren wir beide uns schnell einig, dass die Führung der HRE auf der Vorstandsebene und im Aufsichtsrat so schnell wie möglich ausgewechselt werden musste, obwohl der Bund über keinerlei direkten Einfluss in der Hauptversammlung und im Aufsichtsrat verfügte. Gleichwohl wurden die Personalwechsel herbeigeführt.
Freitag, 10. Oktober 2008
Am Donnerstagnachmittag war ich nach Washington geflogen, um am nächsten Tag am Treffen der G7-Finanzminister und anschließend an der Herbsttagung des IWF teilzunehmen. Das war die erste Zusammenkunft der G7-Finanzminister nach den apokalyptischen Erfahrungen Mitte September. Dementsprechend unterschied sich dieses Treffen deutlich von der fast unbekümmert anmutenden G7-Veranstaltung im Februar 2008 in Tokio. Die Finanzminister bestärkten noch einmal ihre Erklärung aus der Telefonkonferenz vom 22. September, dass sie in ihrer jeweiligen Verantwortung allein oder gemeinsam jede Bank stabilisieren würden, die für die internationale Finanzwelt »systemrelevant« sei.
Es ging allerdings nicht nur um Krisenmanagement, sondern auch um die Frage, ob und wie wir international abgestimmte Regeln für die Finanzmärkte erarbeiten und beschließen konnten, mit denen sich eine Wiederholung des gerade Erlebten verhindern oder zumindest doch eindämmen ließ. In der Vorbereitung des G7-Treffens schickte ich meinem US-Kollegen Hank Paulson dazu acht Vorschläge unter folgenden Überschriften zu:
* Bilanzierungspflicht für Finanzinnovationen
* Höhere Liquiditätsvorsorge bei Banken
* Internationale Standards für eine stärkere persönliche Haftung der verantwortlichen Finanzmarktakteure
* Anpassung der Anreiz- und Vergütungssysteme des Finanzsektors
* Engere Zusammenarbeit zwischen Financial Stability Forum (FSF) und IWF zum Aufbau eines Frühwarnsystems
* Verbot schädlicher Leerverkäufe
* Selbstbehalt bei Verbriefungen, damit Kreditrisiken von Banken nicht mehr zu 100 Prozent verbrieft und damit weitergereicht werden können (ich hielt einen Selbstbehalt von 20 Prozent für eine denkbare Größe) - Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden.
Viele dieser Vorschläge, die nicht allein in meinem Garten gewachsen waren, durchziehen seitdem die Debatten und Communiques nachfolgender Konferenzen. Einige sind aufgegriffen worden oder »in Arbeit«. Andere sind mehr (Verbesserung der internationalen Bankenaufsicht) oder weniger (Selbstbehalt von 5 Prozent bei Verbriefungen) verwirklicht worden.
Tatsächlich gehört der 10. Oktober aber nicht wegen der G7-Konferenz zu den zehn Tagen, die mich über den Bann der Ereignisse hinaus bewegten. Am Abend dieses Freitags lud Hank Paulson alle
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