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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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vom Staat enteignet, sondern vom Markt! Sie erlebten Marktwirtschaft pur. Bei einer Insolvenz der Bank, die ohne staatliche Hilfe »todsicher« eingetreten wäre, hätten die Aktionäre einschließlich des Großinvestors Flowers keinen Cent Entschädigung erhalten. Wenn der Wert eines Unternehmens auf (nahezu) null sinkt, dann entspricht es marktwirtschaftlicher Logik, dass auch die Anteile der Kapitaleigner entwertet werden. Bei einem so hohen Einsatz öffentlicher Mittel wie im Fall der HRE hat der Staat die Aufgabe, nicht die Eigentümer zu retten, sondern einer Enteignung der Steuerzahler entgegenzuwirken.
     
    Dienstag, 20. Oktober 2009
    Zwei Wochen nach ihrem Wahlsieg musste die neue sozialistische Regierung in Griechenland unter Premierminister Papandreou offiziell und öffentlich die Angaben der Vorgängerregierung zum griechischen Haushaltsdefizit für 2009 von 3,7 Prozent auf über 12 Prozent korrigieren. Die Finanz-, Wirtschafts- und Fiskalkrise entwickelte sich zu einer Staatskrise.
    Von diesem Moment an ging es nicht allein um Griechenland. Die Frage lautete nicht, ob und warum und wie lange uns die Griechen mit ihrer hellenistischen Statistik an der Nase herumgeführt haben, und Drohungen, dass man nun ganz andere Seiten aufziehen müsse, waren höchstens populistisch, aber mitnichten zielführend. Es ging vielmehr von Anfang an um Europa. Die Folgerungen sprangen ins Auge: Gerät Griechenland in einen Staatsbankrott (und muss die Eurozone freiwillig oder unfreiwillig verlassen), steigert sich die Unsicherheit auch in anderen Mitgliedsstaaten des Euroraums mit Refinanzierungsproblemen; geraten diese Länder in einen Strudel, steht der gesamte Euroraum unter Druck; scheitert die Währungsunion oder zerfällt sie in mehrere Teile, ist das ein Rückschlag für die europäische Integration auf Jahre; renationalisiert sich darüber Europa, sind seine Position, sein Gesellschafts- und sein Wirtschaftsmodell weltweit geschwächt.
    In einer prägnant bösen Zusammenfassung beschrieb mir ein Mann vom Fach die Krise damals wie folgt: Erst zogen einige Bankmanager ihre Kunden mit obskuren und riskanten, aber provisionsträchtigen Anlagen über den Tisch. Dann nahmen sie ihre Anteilseigner aus, indem sie saftige Bonuszahlungen von den Erträgen abzogen und nicht etwa als Dividenden ausschütteten oder dem Eigenkapital zuführten; anschließend jagten sie in ihrer Risikoignoranz den Wert der Banken in den Keller. Dann nahmen sie einzelne Staaten aus, indem diese sich gezwungen sahen, systemrelevante Banken mit Steuermitteln zu stabilisieren. Und schließlich nahmen sie ganze Staatengemeinschaften aus, indem sie ihnen Notfallpakete abverlangten, mit denen ihre Kredite an bankrottgefährdeten Staaten abgesichert wurden.
Peinliche Befragung: Die Fehler der Politik und die Ignoranz einer Wirtschaftselite
    Während und nach einer solchen Krise ist die Frage »Wer ist schuld?« nur allzu naheliegend und verständlich. Waren es gierige Bankmanager und ihre Risikovorstände, die versagten, die Rating-Agenturen, die Bankenaufsicht? War es die Politik - oder der Kapitalismus als solcher? Auch wenn sie noch so nachdrücklich und empört gestellt wird, die Frage führt ins Nirwana, weil die Kausalitäten in einem so komplexen System wie dem der Finanzmärkte nicht eindeutig sind und es eine leicht zu identifizierende Verursachergruppe nicht gibt. Die unbefriedigende Antwort weist auf eine Gemengelage, in der in beliebiger Reihenfolge globale Ungleichgewichte, die Philosophie der Deregulierung, die Risikoignoranz und Arroganz von Bankmanagern, fehlende Brandmauern und Sicherungskästen, Intransparenz des Marktgeschehens, Fehler der Politik und nicht zuletzt auch die Gier von Bankkunden in eine Wechselwirkung mit hoher Explosivkraft geraten sind.
    In der Debatte, ob es sich um Marktversagen oder um Staatsversagen handelt, werden viele Rechtfertigungsarien gesungen und ordnungspolitische Bastionen verteidigt. Die Anhänger eines ungezügelten Marktliberalismus, die sich in den letzten Jahrzehnten im Aufwind sahen, bemühen sich, im Strudel der Krise nicht völlig unterzugehen. Sie bestehen auf einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis, dem zufolge die Politik versagt hat, den Märkten einen klaren Rahmen zu stecken. Dabei wird allerdings die nicht ins Bild passende Tatsache unter den Teppich gekehrt, dass die Anhänger dieser Marktphilosophie die Politik in den letzten Jahren keineswegs ermuntert haben, entsprechende Leitplanken in das

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