Unterm Strich
Marktgeschehen einzubauen. Im Gegenteil, jeder noch so zaghafte Versuch wurde mit einem Bannstrahl belegt.
Umgekehrt wittern diejenigen Morgenluft, die in den vergangenen Jahren diverse, aber erfolglose Lanzenangriffe gegen den »Neoliberalismus« geritten haben und nun Deutungshoheit und damit politische Wirkung zurückzugewinnen suchen. Sie haben immerhin die Augenfälligkeiten seit Ausbruch der Krise auf ihrer Seite. Unterschwellig sind bei einigen dieser Interpreten des Marktversagens, denen ich tendenziell zuneige, allerdings auch Reflexe spürbar, die auf die Erwartung hindeuten, dass nun eine Blütezeit staatlicher Detailregelungen anbricht, womit das Kind mit dem Bade ausgeschüttet würde.
Die Auseinandersetzung zwischen Weltanschauungen ist in der Regel meist fruchtlos. Ich versuche an mehreren Stellen dieses Buches zu belegen, dass wir beides brauchen - funktionsfähige Märkte und einen handlungsfähigen Staat - und dass uns unser ordnungspolitischer Tiefsinn leider allzu häufig zu politischen Tiefflügen verleitet hat.
Reden wir zunächst über Fehler der Politik. Global steht das politische Unvermögen an erster Stelle, das fatale ökonomische Missverhältnis zwischen den USA und China abzubauen. Im europäischen Maßstab besteht ein verwandtes makroökonomisches Ungleichgewicht zwischen Deutschland als Exportland mit exorbitanten Leistungsbilanzüberschüssen und den anderen Mitgliedsstaaten der EU und des Euroraums - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Politik ist des Weiteren dort mitverantwortlich für die Krise, wo sie zu gigantischen Schuldenbergen beigetragen hat und es gleichzeitig versäumte, die Einführung des Euro mit einem niedrigen Realzinsniveau für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen. Das ist in einigen europäischen Ländern geschehen, und auf dieses Versäumnis haben Spekulanten als Profiteure gesetzt.
Dann hat sich die Politik nicht der »spekulativen Kreditschöpfung« widersetzt; dazu zählt der Ökonom Richard Werner Kredite des Bankensystems an Immobilienspekulanten, an Schattenbanken, die in strukturierte Wertpapiere investieren, Kredite an Hedgefonds und Private-Equity-Fonds, Kredite für Fusionen und Übernahmen sowie direkte Finanzinvestitionen der Banken. Der Anteil der spekulativen Kredite am gesamten Kreditvolumen hatte in der Zeit vor der Krise deutlich zugenommen, ohne dass die Politik dagegen national oder international eingeschritten wäre.
Der Politik in Europa ist vorzuwerfen, dass sie mit dem Vertragsabschluss von Maastricht 1992 versäumte, die Währungsunion in eine Wirtschaftsunion mit einer wirkungsvollen Koordination der Fiskal- und Wirtschaftspolitiken zu überführen. Dieser Geburtsfehler haftet der Politik an. Wo sie angesichts der daraus resultierenden, nun aufgebrochenen Probleme in der Eurozone den Märkten mehrdeutige Signale gibt, fordert sie diese Märkte zum Stresstest geradezu heraus. Das war bei der Behandlung Griechenlands - unter maßgeblicher Mitwirkung der deutschen Politik - der Fall. Und diese Flanke ist bis heute nicht wirklich und wirksam geschlossen. Die Entscheidungen des Europäischen Rates von Ende März und Anfang Mai 2010, Griechenland wie allen anderen Euroländern mit einem Auffangnetz zu helfen, waren gewiss ein Signal an die Märkte, sich nicht zu verheben. Da aber zugleich betont wurde, dass die Eurozone keine Fiskalunion sei, in der unbegrenzt Transferzahlungen zur Unterstützung notleidender Partnerstaaten fließen können, wurde die Botschaft unklar und lieferte Angriffsflächen. »Der Formelkompromiss von Brüssel ist eine Einladung an die Märkte, herauszufinden, wo diese Grenze liegt«, urteilt der Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick.
In einer ähnlich schwierigen Lage sieht Schularick die EZB, nachdem sie sich dazu durchgerungen hat, das Ihrige zur Unterstützung finanzschwacher Mitgliedsstaaten beizutragen, indem sie deren Staatsanleihen aufkauft. Die EZB könnte aber den europäischen Südstaaten nicht unbegrenzt helfen, weil sich irgendwann Widerstand dagegen regen würde, über solche Operationen erhebliche Kreditrisiken auf die Bilanz der Europäischen Zentralbank zu schaufeln. Das aber würden auch die Märkte entdecken und testen, wie viele Anleihen die EZB denn nun wirklich zu kaufen bereit wäre, bevor sie zwischen die Stühle der Politik gerät. Wenn die Politik nicht erpressbar und zum Spielball werden wolle, so Schularick, gebe es mittelfristig »für die Währungsunion nur zwei
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