Unterm Strich
Uhr mit dem Ergebnis, dass die Banken ihren Beitrag zum HRE-Rettungspaket um 15 Milliarden aufstockten, ohne dass der bestehende Bürgschaftsrahmen des Bundes hierfür erweitert werden musste. Aus Bundessicht war das in der Tat kein schlechtes Ergebnis. Der Opposition fehlte später jede Souveränität, dies anzuerkennen.
In die Geschichte der Finanzkrise geht dieser Tag allerdings aus anderen Gründen ein. Zum Wochenende hatten uns Hinweise der Bundesbank und einzelner Banken erreicht, dass die Menschen zunehmend nervös wurden und um die Sicherheit ihrer Ersparnisse bangten. Es sei die klare Tendenz erkennbar, dass immer mehr Bürger ihr Geld vom Konto abhöben und in den Wäscheschrank oder unter die Matratze legten. Die Befürchtungen waren nicht von der Hand zu weisen, dass nach Öffnung der Bankfilialen am Montag ein Ansturm stattfinden könnte und dem Markt damit noch mehr Liquidität verlorengehen würde. Das Bild von Menschenschlangen vor den Filialen deutscher Banken - das mich schon im September 2007 bei der Krise von Northern Rock beunruhigt hatte - empfand ich als höchst alarmierend.
Bundeskanzlerin Angela Merkel war mit ihrem Abteilungsleiter Jens Weidmann und meinem Staatssekretär Jörg Asmussen auf Einladung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy am Samstag zu einem Treffen der europäischen G7-Staaten nach Paris gereist. In dauerndem Kontakt über unsere beiden Mitarbeiter, wurde zwischen ihr in Paris und mir in Berlin der Gedanke ausgebrütet und am Sonntagmorgen geboren, der deutschen Öffentlichkeit eine Garantieerklärung für Spareinlagen zu geben. Das Ergebnis war der gemeinsame Fernsehauftritt der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers an diesem Sonntag um 15:00 Uhr, kurz vor einer Sitzung des Koalitionsausschusses.
Diesen Auftritt nennen heute noch einige legendär. Richtig sind die zwischenzeitlichen Recherchen, dass Angela Merkel kurzfristig überlegte, allein vor die Kameras zu treten. Ich gab ihr zu bedenken, dass ich ihr dann in einem halbstündigen Abstand möglicherweise vor derselben Kulisse im Kanzleramt folgen müsste. Das würde den Effekt eines geschlossenen Auftretens der Bundesregierung geradezu beschädigen und die beabsichtigte Vertrauensbildung eher konterkarieren. Das Argument akzeptierte sie und legte den Hebel wenige Minuten später in einem weiteren Telefonat auf einen gemeinsamen Auftritt um. Es war uns beiden bewusst, dass es sich um einen Ritt auf der Rasierklinge handelte. Eine Rechtsgrundlage hatten wir nicht. Der Begriff »Spareinlagen« war hinreichend unklar - und musste am Montag von unseren Sprechern präzisiert werden.
Die BILD-Zeitung war zwei Tage später ausgesprochen hilfreich: In einer knappen, übersichtlichen Zusammenfassung wurde alles vom Girokonto über das Sparbuch bis zum Festgeld als gesichert und alles von Aktienfonds über Immobilienfonds bis zu Inhaberschuldverschreibungen privater Banken als nicht gesichert aufgeführt. Für welchen maximalen Betrag wir uns als Bundesregierung über die gesetzliche und freiwillige Einlagensicherung hinaus verbürgten, war uns zwar in der Qualität, aber nicht in der genauen Quantität klar. Andererseits teilten wir die Überzeugung, dass es sich ohnehin um einen Staatsnotstand handelte, falls diese beiden Einlagensicherungssysteme reißen würden und unsere politische Patronatserklärung greifen müsste.
Der Zweck des gemeinsamen Auftritts wurde erfüllt. Ein Run auf die Banken blieb aus, die Menschen räumten ihre Konten nicht ab. Bis heute bestätigen mir Vertreter der Sparkassen, Volksbanken und privaten Geschäftsbanken ausnahmslos, dass dieser Schritt richtig und hilfreich war. Aber eine schlaflose Nacht über die unabsehbaren Folgen dieser Garantie- oder Patronatserklärung habe ich verbracht. Auf die Frage eines Journalisten, was die Bundesregierung denn getan hätte, wenn es zum Eintrittsfall dieser Erklärung gekommen wäre, lautete meine Antwort ohne Wimpernschlag: zahlen! Sonst wäre die Glaubwürdigkeit politischer Erklärungen bis in die nächste Eiszeit keinen Cent mehr wert gewesen.
Es gab an diesem ereignisreichen Sonntag eine zweite, durchaus epochale Entscheidung. Ich kehrte nach dem Koalitionsausschuss im Kanzleramt in mein Ministerium zurück, ließ mich parallel in die dortigen Verhandlungen zur zweiten Rettungsaktion für die HRE schalten und lud nach dem (erfolgreichen) Ende der Verhandlungen kurz vor Mitternacht eine kleine Runde zu einem Gedankenaustausch
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