Unterm Strich
Finanzminister und Notenbankgouverneure zu einem Dinner ins US-Finanzministerium ein. Wir waren aber nicht die einzigen Gäste. Anwesend waren auch fast alle Herzöge der Bankenwelt, überwiegend von der Wall Street; Josef Ackermann war nach meiner Erinnerung ebenfalls eingeladen. Einige erschienen ziemlich lädiert und hatten nur noch eine kurze Herrschaft vor sich. Während der lebhaften Diskussion kamen Bundesbankpräsident Axel Weber und ich aus dem Staunen nicht mehr heraus: Wir hörten aus der Runde dieser Meister des Universums stramme Plädoyers für eine stärkere Regulierung! Das waren teilweise Ergebenheitsadressen. Der Schock saß vier Wochen nach Lehman Brothers und AIG so tief, die noch nicht gehobenen Risiken wurden als so groß eingeschätzt, dass sich eine mentale und ordnungspolitische Revolution anzubahnen schien.
Einen leichten Vorgeschmack hatte ich bereits in Deutschland bekommen, als mir Bankmanager und Wirtschaftsprofessoren von einer zuvor nie angekränkelten marktwirtschaftlichen Gesinnung den Gedanken an eine Verstaatlichung des Bankensektors nahelegten. In der Existenznot dieser Krise wurden jahrzehntelang gepflegte Überzeugungen, nach denen jeder Zweifler an der Markttheologie für vogelfrei erklärt oder zumindest als Sozialist gebrandmarkt worden war, offenbar von heute auf morgen auf den Müll befördert. Aber leider nicht für lange. Denn je besser die staatlichen Rettungspakete ihren Zweck erfüllten, je mehr sich die Lage stabilisierte - wenn auch auf brüchigem Grund - und je weiter sich dank Ergebnisverbesserungen das Damoklesschwert über dem Haupt der Banken und ihrer Manager wieder hob, desto häufiger wurden die alten Überzeugungen reaktiviert.
Die Begegnung in der US Treasury blieb eine Episode der besonderen Art. Spätestens ab Mitte 2009 mobilisierte die Wall Street ihre gesamte Lobbymacht, um dem Bankengesetz von Präsident Obama die Zähne zu ziehen. Dieses Gesetz, das Ende Juni 2010 vom Vermittlungsausschuss des Senats und Repräsentantenhauses erstaunlicherweise nicht entschärft, sondern eher angespitzt worden ist, gilt als die umfassendste Reform des US-Bankenwesens der letzten Jahrzehnte. Beispielsweise soll ein Großteil des auf 615 Billionen US-Dollar geschätzten außerbörslichen Derivatenmarkts für Aktien, Rohstoffe und Kredite auf Handelsplattformen mit zentralen Gegenparteien verlagert werden.
Samstag, 15. November 2008
An diesem Tag fand der erste Finanzgipfel auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs in Washington statt. 64 Jahre nach der Konferenz von Bretton Woods 1944, auf der unter maßgeblicher Federführung des britischen Nationalökonomen und Politikers John Maynard Keynes ein neues Weltwährungssystem für die Nachkriegszeit entworfen worden war, traf sich eine ähnlich mächtige Staatengemeinschaft, die sich einem nicht weniger weltumspannenden Thema widmen wollte: der Stabilität der Finanzmärkte und damit auch dem Wohlstand der Nationen. Das Prinzip, das auf diesem Gipfel festgehalten wurde - alle Finanzmarktprodukte, Finanzmarktakteure und einzelne Finanzmärkte haben sich einer Aufsicht und Regulierung zu unterwerfen -, und der auf dem zweiten Finanzgipfel in London Anfang April 2009 verabschiedete Aktionsplan begründeten die Hoffnung auf schnelle und konkrete Ergebnisse, auf Werkzeuge, den internationalen Finanzkapitalismus zu bändigen. Dabei war von Anfang an klar, dass es eine Neuordnung der Weltfinanzmärkte nur mit den USA geben würde. Ebenso klar zeichnete sich ab, dass die globale Finanzmarktarchitektur unter dem wachsenden Gewicht und Anspruch von Schwellenländern verändert werden würde.
Die Ergebnisse der inzwischen vier Finanzgipfel, die Vereinbarungen europäischer Gremien und nationaler Gesetzgebungen - insbesondere das erwähnte US-Bankengesetz - sind nicht geringzuschätzen. Eine vollständige Auflistung bisheriger Verabredungen und ihrer Umsetzung würde deutlich machen, dass mehr geschehen ist, als allgemein angenommen wird. Aber viele Hoffnungen auf eine fundamentale Neuordnung sind eben auch an den Klippen divergierender Interessen hängen geblieben. Diese erstrecken sich vornehmlich auf wechselkursbedingte Ungleichgewichte (das Verhältnis zwischen USA und China), Rezepte der Wachstumsförderung, Exitstrategien aus der Schuldenkrise, die Einflussnahme auf die Geldpolitik von Zentralbanken und die Beteiligung des Bankensystems an den Folgekosten der Krise. Diese fünf zentralen Themenblöcke stehen wie
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