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Unternehmen CORE

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Titel: Unternehmen CORE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Preuss
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Portale waren mit dunklen Figurenreliefs besetzt, kauernde Atlanten, furchterregend wie die Götzenbilder der Wikinger – unheimlich und verwirrend in einem Land, in dem die offizielle Religion die Darstellung von Menschen verbot. Ein Wasserfall ergoß sich mitten zwischen den Häusern, unter der Straße hindurch, und fiel in die tiefe, weiter unten liegende Schlucht.
    Er fuhr an die Seite und sprach zu den Männern, die aus dem Schatten auftauchten. »J’ai besoin d’une chambre, d’un lit …« In lächelndem Unverständnis starrten sie ihn an, einer jedoch rannte los, um den alten Scheich zu holen, einen braunen und faltenzerfurchten Mann, der ein wenig Französisch sprach. Sie gaben sich die Hand. Der alte Mann berührte in ritueller Geste seine Brust.
    Leidy speiste diese Nacht ausgezeichnet; er und seine neuen Freunde zerlegten ein Lamm und aßen Schalen mit Erbsen, Kartoffeln und Karotten und das Brot aus dem Lehmofen. Süßer Minztee spülte alles hinunter.
    Nach dem Essen sahen sie sich an und rülpsten und lächelten und wußten nicht, was sie sagen sollten. Der Scheich ordnete seine Kleider und stand auf. Er bat Leidy, mit ihm zu kommen. Sie gingen durch enge Gassen und über dunkle Stufen, begleitet vom Rauschen des Wasserfalls, das in die kalte Nacht hinaus dröhnte, und kämen zu einem niedrigen Haus aus perforiertem Blech, dessen Inneres eine Öllampe schmückte.
    Drei Leute lagen auf Strohsäcken auf dem Boden. Zwei Männer, die gelegentlich stöhnten, und ein Kind, das leise weinte. Eine nervöse Frau, deren mit einem Schal bedecktes, doch unverschleiertes Gesicht die Stammeskennzeichen auf Wange und Kinn zeigte, kniete in einer Ecke.
    »Ce-ça, le mal, comprenez-vouz ça?« fragte der Scheich Leidy mit einem fragenden Blick, der sagte, daß er es nicht als Beleidigung auffassen würde, wenn Leidy zugab, daß er nichts verstand.
    Leidy kniete zu einem der Männer nieder und legte seine rechte Hand auf dessen Stirn; sie war sehr heiß. In seinem kruden Französisch fragte er ihn, was passiert war.
    »Il ne comprend pas français« , sagte der Scheich. Er erklärte ihm, daß die drei Schafhirten waren; sie waren oben in den Bergen und erst vor wenigen Stunden zurückgekehrt. Auch andere im Dorf waren gestern plötzlich krank geworden, wenngleich nicht so stark; diese hatten das Dorf nicht verlassen, außer für die Arbeit in den Getreideterrassen.
    Leidy stellte weitere Fragen und erhielt bruchstückhafte Antworten. Die Männer waren schwach und durstig – sehr durstig. Aber sie konnten nichts bei sich behalten, nicht einmal Tee, nicht einmal Wasser. Sie konnten nicht essen, ihr Fieber war zu hoch. Alle litten an Durchfall. Der kleine Junge blutete aus einer Wunde an seinem Bein, die sich nicht schließen wollte.
    Leidy betrachtete den Jungen und seine nässenden Bandagen. Das Kind trug zerlumpte Fetzen. Er nahm es in den Arm. Die Augen des Kindes waren geöffnet, sein Blick allerdings war trüb und verschwommen. Auf Stirn und Wangen hatte er dunkle Flecken, ähnlich Blutergüssen. Er war ungefähr so alt wie Leidys eigener Sohn.
    Er versuchte den Jungen zu beruhigen und strich mit der Hand über seine dunklen Locken; das Haar fiel unter seiner Berührung weg, als wäre es versengt.
     
    Nach dem Paß fiel die Straße schnell ab. Leidy fuhr an grabähnlichen Kilometersteinen vorüber, in Richtung auf die Stadt in der Ebene mit ihren rosafarbenen Wällen, Marrakesch, ein von Palmenhainen umgebener Garten Eden. Gewöhnlich war die Schnellstraße voll mit Fußgängern, berittenen Kamelen und Eseln und Fahrrädern, nicht jedoch heute; einige wenige Autos und Lastwagen waren alles, was er traf. Außerhalb der Lehmmauern der Stadt versammelten sich normalerweise die Leute während der Hitze des Tages im Schatten der Palmen oder in den weiten Oliven- und Akaziengärten. Heute sah Leidy niemanden.
    Er stoppte den dreckbeschmierten Land Rover vor der Notaufnahme des Hospitals in der Neustadt. Er drängte sich nach drinnen, durch die Menge der schreienden Leute, die die Korridore füllten, und schlug auf das Pult, um die Aufmerksamkeit der Krankenschwester zu erregen.
    »Eine Krankheit, eine schreckliche Krankheit, in einem Dorf in den Bergen! Sie müssen einen Arzt schicken!«
    Männer, die bereits vor ihm warteten, schrien ihn an, still zu sein. Ein Amerikaner. Welches Recht hatte er, zu fordern, daß er behandelt werde? Die Schreie wurden wütender. Männer zerrten an ihm.
    Ein junger Doktor erschien und

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