Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unternehmen CORE

Unternehmen CORE

Titel: Unternehmen CORE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Preuss
Vom Netzwerk:
Akzent. »Ein Beben der Erde.«
    »Wo?«
    »Le moyen orient … wie sagte man, der Nahe Osten. Israel. Und Jordanien.«
    Die Bedienung erschien. »Vous voulez, monsieur?« Sie war eine schwergewichtige Frau unbestimmbaren Alters mit einer metallischen Stimme; ihre Auftreten sagte ihm, daß Fernsehen hier nicht umsonst war.
    »Vin blanc«, sagte Cyrus. »Une, hmm, un verre …«
    Sie brachte ihm eine Karaffe mit einer grünen Flüssigkeit, er legte alle Münzen in seiner Tasche auf die Theke. Sie schob ihm die Hälfte davon wieder zurück. Er sah auf den Fernseher und versuchte den Kommentar zu verstehen. Die Bilder waren in der Nacht aufgenommen worden, sie waren von Flutlichtern und Handlampen beleuchtet worden – unruhige Lichter, im Hintergrund rote und blaue Blitze, Lichtpunkte überall, die die bereits entstellten Farben des Geräts mit höllischer Theatralik beleuchteten.
    »Diese bâtiments sind eingestürzt«, erklärte der Junge. »Das ist Jerusalem.« Die Gäste waren still; der Fernsehapparat krächzte. »Das ist Tel Aviv.« Sie betrachteten die surrealen Landschaften, die Spalten in den Straßen und aufgerissene Apartmenttürme. »Das ist Amman, wo eine große – wie sagte man, eine Art Brücke …«
    »Eine Überführung«, sagte Cyrus und betrachtete die von starken Flutlichtern angestrahlten zerbrochenen Betonpfeiler und verbogenen Eisenträger, die über einer vierspurigen Autobahn lagen; darunter zusammengedrückte Busse und Autos, die man aus dem Schutt freigelegt hatte. Junge Männer in zerrissenen Jeans und Sweaters und verdreckten Turnschuhen wühlten sich mit bloßen Händen durch den Schutt, hielten ihre verzweifelten Gesichter in die blendenden Lichter und flehten um Hilfe.
    »Maintenant, hier, Dörfer auf dem Land.«
    Lehmbauten waren zu Staub zerfallen. Kamerateams rannten mit ihren tragbaren Scheinwerfern durch Szenen des Schreckens. Hysterische Männer und Frauen erschienen auf den wackeligen Bildern wie elektronische Geister, in Lichtroben gehüllt. Eine weinende Frau streckte ihr Kind dem gleißenden Strahler der Kamera entgegen; das Bild war lange genug ruhig, um ein kleines Mädchen zu zeigen, das steif in den Armen der Mutter lag, blutverschmiert und von Staub bedeckt.
    Wieder Jerusalem. Eine Straße in der Altstadt, die in sich zusammengefallen war, antike Steinhaufen, die einem ausgetrockneten Flußbett glichen.
    »Achthundert Tote in Tel Aviv«, sagte einer der alten Männer an den Tischen, der die Worte des Kommentators wiederholte. Der Mann hatte einen dicken grauen Schnurrbart unter einer runden, von zerplatzten Venen überzogenen Nase; sein Englisch war besser als das der jungen Holländer. »Vierhundert in Jerusalem. Das ist Bethlehem. Fünf Tote in diesem Haus, sagt er. Eine Reporterin nun, sie sagt … sie sagt, daß man bisher hundertfünfzig Tote in Amman geborgen hat.«
    Amman. Das Fernsehen zeigte Menschen, die Leichen auf Bahren trugen, weinende Kinder, vom Schrecken überwältigt. VW-Busse mit dem Symbol des Roten Halbmonds suchten sich Wege durch den Schutt, auf ihren Dächern blitzten Blaulichter.
    Der alte Mann sagte: »Ein ungewöhnliches Erdbeben, sagt er. Irgend etwas mit dem Zentrum, glaube ich …?«
    »Das Epizentrum?« fragte Cyrus.
    »Nein, Hypo …« Er sprach es Eepo aus.
    »Hyperzentrum.«
    »Ja, das Hyperzentrum liegt sehr tief. Sehr tief.«
    »Merci, Monsieur.« Cyrus ließ seinen unberührten Wein auf dem Tisch stehen und eilte nach draußen.
    Er rannte beinahe zum Hotel. Als er ankam, rang er nach Luft und spürte Seitenstechen. An der Rezeption sagte er zum Portier: »Ich brauche meinen Paß. Ich muß Geld wechseln.«
    »Monsieur?« Der Portier war ein pickeliger Teenager, der gebannt auf das Fernsehgerät in der kleinen Nische hinter der Rezeption starrte. »Die Banken haben geschlossen. Wieviel wollen Sie?«
    »Geben Sir mir nur den Paß.«
    »Votre nom, monsieur?« Der Portier blickte weiterhin auf das Schwarzweiß-Gerät, während er in einer Schublade kramte.
    »Äh, ich … Sepkowski.« Cyrus war außer Atem, die Schmerzen im Brustkorb waren wieder da. Der Portier gab ihm den Paß; er sah ihn kaum an. Er hatte die Augen noch immer auf das Fernsehgerät gerichtet.
    Cyrus hielt den Paß in seiner Hand, konnte sich aber nicht bewegen. Er hatte es geplant, oder? Der Zeitpunkt war zwar nicht der, den er sich vorgestellt hatte, aber er hatte es geplant, er hatte auf seine Chance gewartet. Was sollte er denn nun tun – darauf warten, daß die Welt

Weitere Kostenlose Bücher