Unternehmen CORE
Cyrus’ Belohnung war eine weitere Reise nach Paris.
»Wir haben nur vierhundert Kilometer. Und die doppelte Zeit dafür gebraucht«, sagte Cyrus.
»Wir sind ein Privatunternehmen. Ihre Rechnungen werden von der gesamten Welt beglichen.« Edward sah verstört, verunsichert aus; er wich Cyrus’ aufforderndem Blick aus.
Cyrus wandte sich ab von dem Mann, der sein Freund war und der ihn gefangennahm – und der nun kurz davor war, etwas anderes zu werden. Er starrte durch die regenverschmierten Fenster auf die fernen Chateaus und hohen Kirchturmspitzen, die im fahlen Nebel lagen. Die Reise war mehr als nur ein Erholungsurlaub, und sie wußten es beide.
Der Bahnhof in Bordeaux lag eine kurze Taxifahrt, aber einen langen Fußweg von den Festungsanlagen der mittelalterlichen Stadt entfernt. Cyrus und Edward nahmen ein Taxi und stiegen in einem winzigen Hotel in einer engen Gasse ab, das sich seit dem dreizehnten Jahrhundert kaum verändert zu haben schien. In diesen kleinen obskuren Absteigen zweiter Klasse fielen sie nicht auf. Cyrus überkamen nostalgische Gefühle für das verschwenderische Cibola in Reno.
»Können wir vor dem Essen Spazierengehen?« fragte er. »Ich würde mir gerne die Beine vertreten.«
»Gerne.«
Sie folgten der Touristenkarte, die ihnen der Mann an der Rezeption zur Verfügung gestellt hatte; Cyrus führte Edward zur Kathedrale, die aussah, als wäre sie während eines Aufstandes – vor langer Zeit – entweiht und geschändet worden; Moos und Farne wuchsen zwischen den Steinen der gotischen Türme. Sie gingen weiter zum Musée d’Aquitaine, das geschlossen war. Cyrus’ Stadtführung erwies sich als Reinfall.
Edward übernahm das Kommando und brachte Cyrus zum Hotel du Vin, wo sie die berühmten Weine der Region probieren konnten. Sie starteten vorsichtig, begannen mit einem Médoc, von dem Edward sagte, daß er einen vollen traubigen Geschmack aufwies. Cyrus stimmte zu, nein, das war keine Cherry-Soda. Sie kamen mit Leuten aus Boston ins Gespräch, die auf ihren Weltreisen Weihnachtskarten sammelten.
»Portugal war nicht sehr kooperativ«, erzählte die Frau Cyrus ein wenig erhitzt. »Aber in Mailand, da waren sie sehr kooperativ. Was uns aber am meisten überrascht hatte, war, daß wir in Ägypten die schönsten Weihnachtskarten gefunden haben …«
Ihr Ehemann sagte wenig, trank allerdings mit Hingabe. Edward schloß sich ihm an; ein gediegener Jahrgang Haut Medoc hatte es ihnen angetan.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Cyrus zur Frau, die in ihrem Bericht über nationale Kooperation Brasilien erreicht hatte. »Entschuldigen Sie mich bitte. Edward, ich bin müde. Sehr müde. Ich denke, ich werde mich vor dem Essen etwas hinlegen.«
»Geht es dir nicht gut?«
»Doch, nur etwas müde. Ich möchte euch den Spaß nicht verderben.«
Edward blickte auf sein Glas, dann zu Cyrus. Vielleicht hatte er in diesen wenigen Sekunden kühl kalkuliert; vielleicht ließ er all die Jahre ihrer gemeinsamen Geschichte an sich vorüberziehen.
Vielleicht auch nicht. Außerdem, was konnte ein alter Mann, der nur ein paar Francs in der Tasche hatte, anstellen? »Du bist dir sicher, daß es dir gutgeht?«
»Ja. Nur müde. Ich treffe dich im Hotel.«
Edward lächelte und winkte ihm nach.
Cyrus betrat die lebhafte Straße. Er ging schnell in die Richtung ihres Hotels, wie er hoffte. Die Straßen waren eng und veränderten sich wie Bühnendekorationen mit jedem Schritt; hier ein großer Platz mit einer Oper, hier eine renovierte Einkaufszeile, dort ein mittelalterliches Ghetto. Plötzlich befand er sich in einem heruntergekommenen Viertel, wo es keine Touristenshops mehr gab; die Wände waren fleckig, standen oben über und verdunkelten den Abendhimmel. Grimmige Monsterfratzen blickten ihn von der Ecke einer alten Kirche an. Er beschleunigte seine Schritte in der hereinbrechenden Dunkelheit. Das Brüllen eines Fernsehapparats aus einer Weinbar lenkte ihn ab; er hörte Schreie und laute Stimmen und das Heulen von Polizeisirenen.
Er blieb stehen und betrat dann neugierig das Lokal. Das schlecht eingestellte Bild des TV-Geräts, das drastisch grün schimmerte, fiel auf ein halbes Dutzend alter Männer, die in blauer Serge-Arbeitskleidung an wackeligen Tischen saßen.
»Was ist das? Was kommt in den Nachrichten?« fragte Cyrus.
Ein junges blondes Paar saß in der verstaubten Bar, neben sich ihre Rucksäcke auf dem Boden. »Un séisme«, sagte der Junge in einem Französisch mit holländischem
Weitere Kostenlose Bücher