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Unternehmen CORE

Unternehmen CORE

Titel: Unternehmen CORE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Preuss
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Sie dachte, er würde sie vielleicht fragen, worüber sie und Cyrus gesprochen hatten, aber er schaute sie nur an. Trotz zwei Tagen der Ruhe sah er müde aus. Seine Seele war müde.
    Sie lehnte sich gegen das Bett und nahm seine Hand. Sie beugte sich über ihn und küßte seine Stirn. Später an diesem Tag reiste sie nach Core City ab.
     
    Marta mußte sich durch Reporter durchkämpfen, um ihren El Al-Flug nach New York besteigen zu können. Leidy und Cyrus hatten es besser; ihr Hospital lag auf Militärgelände, umgeben von der israelischen Armee.
    Die Ärzte hielten Leidy weitere vierundzwanzig Stunden von seinem Vater fern, ihm zuliebe oder seines Vaters wegen; er wußte es nicht. Aber sie testeten dieses und jenes und stellten eine Menge sich wiederholender Fragen. Schließlich waren sie davon überzeugt, daß seih Zusammenbruch nur temporär war – daß er so gesund war wie jeder traumatisierte Amerikaner, der rein zufällig in einen Krieg im Nahen Osten geraten war.
    Also ging Leidy zu Cyrus. Sein Vater hatte das Bett verlassen, er saß in einem Stuhl am strahlend hellen Fenster, er trug einen dünnen baumwollenen Umhang und Papiersandalen und hielt in seinen Händen einen Pappbecher Orangensaft, den er mit der gleichen Aufmerksamkeit behandelte wie einen Dry Martini.
    »Ich bin froh, dich zu sehen«, sagte Leidy.
    »Ich bin froh, dich zu sehen.« Cyrus’ Gesichtszüge waren eingefallen; er war der Schatten eines einst gutaussehenden Mannes. »Ich schulde dir mein Leben.«
    »Du schuldest mir gar nichts.«
    Cyrus’ dünne Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Du hast recht. Eine Schuld, die man einem anderen nicht auferlegen kann. Unmöglich wieder gutzumachen.«
    »Du könntest mir ein oder zwei Geschichten erzählen. Wenn du willst.« Erzähl mir drei wahre Dinge, dachte Leidy. »Zum Beispiel, was du in den letzten fünfzehn Jahren getrieben hast.«
    »Oh, das«, sagte Cyrus. »Ich habe die Geschichte meines verpfuschten Lebens in den letzten drei Tagen allen möglichen Leuten erzählt.«
    »Ja? Gut, nun, vielleicht bringst du sie jetzt auf die Reihe.«
    Cyrus seufzte ein trockenes Seufzen, das nur einen leichten melodramatischen Anflug aufwies. »Noch einmal, dann …«
     
    Es stellte sich heraus, daß es Cyrus nach dem noch einmal versuchen mußte.
    Leidy verbrachte den Tag mit ihm – sie wurden in regelmäßigen Abständen von Ärzten oder Leuten, die sich als Ärzte ausgaben, unterbrochen –, und dann ging Leidy raus zum Telefonieren. In Israel war es spät nachts, früher Nachmittag in Connecticut, als er Greta zu Hause erreichte. Er sprach mit ihr zwanzig Minuten lang. Als sie sich weigerte, weiter zu reden, hängte er auf.
    Aber er rief sie eine halbe Stunde später erneut an. Dieses Mal redete er Klartext; er erzählte ihr, was er von den Ärzten über Cyrus’ Gesundheitszustand aufgeschnappt hatte, was nichts mit den wilden Fahrten in der syrischen Wüste oder seinen Abenteuern in Hunderten von Kilometern Tiefe zu tun hatte, sondern ausschließlich mit seinem über siebzigjährigen, vom Gin zerfressenen Körper. Schließlich überredete Leidy seine Mutter, nach Tel Aviv zu kommen.
     
    Leidy begleitete Greta in Cyrus’ Zimmer. Nach nicht einmal einer Minute jedoch wurde ihm bewußt, daß er dort nichts verloren hatte. Sie waren für ihn Götter, und wie waren sie miteinander verfeindet …
    Eine Stunde verging, dann noch eine. Leidy wartete im Warteraum im Flur, als seine Mutter erschien.
    »Er hat mir erzählt, was er getan hatte«, sagte sie. »Ich habe ihm erzählt, was ich davon halte.« Sie hielte inne, zögerte und sah sich im fremden Flur um, als hätte sie vergessen, wo sie sich befand.
    Er legte seinen Arm um ihre Schultern, und wünschte sich, es würde ihm leichter fallen, sie zu liebkosen, gegen sich zu drücken, fest genug, um ihren Herzschlag neben dem seinen zu hören. Wünschte sich, es gäbe zwischen ihnen nicht so eine harte Kruste und einen so harten Mantel, die er durchbohren mußte. Zwischen ihm und seinem Vater. Zwischen ihm und allen Menschen, die er liebte.

 
IM HERZEN DER ERDE, 2001 U.Z.
     
    Eine Flotte transparenter Wesen schwebte in einem aufgewühlten Ozean aus Eisen; sie waren so zerbrechlich wie die ersten Medusen in den altertümlichen Meeren der Erde. Kristallfaserkabel folgten ihnen nach draußen, wo sie sich in der dichten, glühenden Flüssigkeit verteilten. Unter ihnen baumelten kilometerlange Tentakel, die sie mit Energie aus der Tiefe versorgten.

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