Unternehmen CORE
darauf lief es hinaus, einsam und alleine aufwachsen.
Er schaute durch die großen Glastüren hinaus in die dunkle Wüste und den grauen östlichen Himmel; er wußte, sein Sohn war dort draußen, wo er herumstreifte – er vertraute ihm, daß er so klug war, sich nicht beißen zu lassen.
Leidy nahm eine Videokassette aus dem Regal unter dem Fernsehgerät und schob sie in den Recorder. Er drehte die Lautstärke so niedrig, daß kaum etwas zu hören war, spulte durch das Band und suchte die Stelle, an die er sich erinnerte. Als er sie gefunden hatte, ließ er das Band abspielen – die Lautstärke war kaum höher als ein Flüstern, sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem großen Glasbildschirm entfernt …
AUF EINER BRÜCKE IM NEBEL, 1983
Ein Mann mittleren Alters in einem verschmutzen Mantel betrat den Gehweg neben den nach Norden führenden Spuren der Golden Gate Bridge. Wenn nicht der Nebel dick vom Meer hereingezogen, wenn es nicht fünf Uhr dreißig morgens gewesen wäre, hätte man den Osten der weiten Bucht mit ihren Inseln, umgeben von Städten und hohen Bergen überblicken können. So aber beleuchteten orangegelbe Straßenlampen kaum die Basis des südlichen Pfeilers, der nach zehn oder zwölf Metern im Nebel verschwand. Die Stahlbrücke wurde vom Nebel getragen, die Kabel und Streben verschwanden in den feuchten Wolken, die durch sie hindurchzogen.
Als Cyrus Hudder den südlichen Pfeiler passierte, erscholl das weit unten am Pier befestigte Nebelhorn, das trauernde Heulen des Minotaurus, der aus der Mitte des Labyrinths seine Einsamkeit und Begierde herausschrie. Cyrus ging schnell weiter. Sein Körper begann im Einklang mit den anderen Hörnern zu zittern, den kleineren pneumatischen Hörnern, die am Scheitelpunkt der sanft gerundeten Brückenbögen saßen und zweimal in der Minute ihre rhythmischen Warnungen ausstießen.
Cyrus blieb stehen und wartete auf das Echo; er stellte sich vor, er könnte den Widerhall vom Festland auf der anderen Seite der Gate hören. Er glaubte, er vernehme das schwache Echo vom weit entfernten, unsichtbaren Angel Island. Unter ihm schimmerte orangefarbenes Licht auf dem schwarzen Wasser. Auf der Straße hinter ihm tauchten Scheinwerfer aus dem Nebel auf und gingen vorüber; sie zerrissen die Stille. Der vorbeistreichende Nebel erinnerte ihn daran, auf der Plattform eines Zuges zu stehen, von der er in die vorüberziehende Dunkelheit starrte.
Irgendwo da draußen, nur in der Zeit etwas weiter entfernt als das wirkliche, aber unsichtbare heutige San Francisco, befand sich die Stadt, in der er geboren wurde – das Paradies, das er verlor, als sein Vater ihn in die weit entfernte Sierra, nach Reno, gebracht hatte. Erst mit achtzehn, sein Vater war da bereits tot, war er wieder zurückgekehrt und dann auch nur für einen kurzen Geschäftsbesuch.
»Ich habe Max sehr gemocht«, sagte der weißhaarige Anwalt. »Wir haben alle unsere Geheimnisse. Er hatte seine. Aber nun ist er fort, und nun bist du der Mann der Familie.« Cyrus, steif in seinem Stuhl, widersprach ihm nicht. »Irgendwelche dringenden Fragen, die ich beantworten soll?«
Cyrus und sein Gegenüber, ein gesetzter Gentleman, saßen in einem Büro im neunzehnten Stockwerk eines marmornen Wolkenkratzers in der New Montgomery Street, San Francisco, vor ihnen ein Bogenfenster, das den Blick auf die silberfarbenen Bögen der neuen Oakland-Bay-Bridge freigab. Cyrus konnte das Glitzern der Autofenster auf dem oberen Deck der Brücke erkennen, im Deck darunter die unförmigen Silhouetten der elektrischen Straßenbahnen, die hin- und herfuhren.
Cyrus – wenn nicht ein Mann, dann zumindest ein großer Junge, der zum Mann wurde – war von seiner Mutter hierher geschickt worden; die Antwort auf das Telegramm des Anwalts. Anscheinend hatte Max Hudder einige Vermögenswerte besessen, von denen er der Familie nichts erzählt hatte.
»Woher kennen Sie …« Cyrus räusperte sich laut, um seine Verlegenheit zu verbergen. »Kannten Sie meinen Vater gut?«
»O, ja. Aber ich kenne dich nicht, Cyrus.« Der Anwalt besaß einen gelassenen, fragenden Blick. »Wirst du in die Fußstapfen deines Vaters treten?«
»Ich möchte Physiker werden«, sagte Cyrus.
»Ein Musiker? Oh, aber …«
»Ein Physiker. Materie und Energie untersuchen.«
»Ah, ein Erfinder. Schön. Edison sicherlich …«
»Ein Physiker wie Professor Einstein.« Cyrus taute auf. »Edison war ein Dilettant.« Das war ein Zitat von Max.
»War er
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