Unternehmen CORE
das?« Der Anwalt legte sein Kinn auf die gefalteten Finger und ließ seinen schweren Blick auf dem Jungen ruhen.
»Ich meine … ich meine, wenn Mr. Edison recht hatte, der Erfahrung zu vertrauen …« Frustriert suchte er nach Worten.
»Pragmatismus?«
»Empirismus«, sagte Cyrus, von seinem Argument entflammt. »Aber er hatte unrecht, wenn er wissenschaftliche Theorie nicht beachtete. Theorie ist Verständnis. Nur Theorien können unsere Neugierde befriedigen.« Das war seine eigene Meinung, die auf seiner Lektüre basierte. »Laut Darwin werden wir damit geboren.«
»Alles, was ich fragen wollte, war, ob deine Neugierde über deinen Vater befriedigt ist.«
Eine durchgehend pragmatische Frage, und der Anwalt wartete die Antwort nicht ab. »Aber zuerst laß mich dich zum Essen einladen, Mr. Hudder, denn es wird wahrscheinlich nicht so bald wieder vorkommen, daß wir uns wiedersehen. Du hast doch nichts gegen einen kleinen Spaziergang? Das Lokal, das mir vorschwebt, ist ein wenig entfernt.«
Nach einigen Blocks, im Tadich’s Grill in der unteren California Street, nahm die Menge der gewichtigen Geschäftsleute mit jeder Minute zu. Der Anwalt kämpfte sich zur Theke durch und machte sich dem Oberkellner bemerkbar. Anscheinend kannten sich die beiden; es folgte ein kurzes und einvernehmliches Gespräch, das ein seltsames Händeschütteln nach sich zog.
Fünf Minuten später saßen sich Cyrus und der Anwalt an einem Tisch gegenüber, der mit weißem Leinen und schwerem Silberbesteck gedeckt war, ihre Rücken lehnten an der Mahagony-Verschalung des engen Abteils. Ein ungeduldiger Kellner in weißem Anzug und hohem Kragen bediente sie.
Cyrus ließ den Anwalt für sich bestellen, Salat und Austern und Kotelett. Das Ritual erinnerte ihn an seine Kindheit, an die meisterliche Beherrschung, die sein Vater den Eßritualen entgegengebracht hatte.
»… und eine Flasche Pinot.«
»Pinot?«
»Diesen Pinot Blanc.« Der Anwalt deutete auf die Weinliste.
Der Kellner machte sich davon, den minderjährigen Cyrus nahm er kaum zur Kenntnis; die Prohibition war zwar abgeschafft, ihre Befürworter hatten sich allerdings noch nicht wieder gruppiert.
»Was willst du über ihn wissen, deinen Vater«, sagte der Anwalt.
»Erzählen Sie mir, was Sie wissen. Erzählen Sie mir alles«, sagte Cyrus. Er brauchte Fakten, gemäß seinem Einstehen für die Empirie.
Der Anwalt warf einen schnellen Blick zur Decke, die aus weißbemaltem Blech bestand. »Vielleicht nicht alles.« Er brauchte einen Augenblick, um seine Gedanken zu ordnen. »Du willst ein Mann der Wissenschaften werden, Cyrus. Max war ein Bergbau-Chemiker, der seine Chemie in der Praxis lernte. Weißt du irgend etwas über seine Mutter?«
Nicht ohne Mühe schluckte Cyrus eine Gabel voll Salat. »Meine Großmutter war eine Herzogin. Eine Hohenzollern. Sie starb bei seiner Geburt. Sein Vater war ein Graf. Er kaufte Land in Colorado und gründete eine Kolonie. Colorado Springs.«
»Ein Mann namens Palmer gründete Colorado Springs. Er war im Eisenbahngeschäft«, sagte der Anwalt.
Cyrus sah ihn an; zwischen seinen Zähne hing ein Salatblatt.
»Du kannst es in den Chroniken nachlesen. Und was Max betrifft … aber wir können es dabei belassen.«
»Sie wissen es anders?«
»Nur, was er mir erzählt hat – eines Morgens, nachdem er die ganze Nacht Billard gespielt hatte.«
»Ich möchte alles wissen.«
»Ich nehme dich beim Wort.« Der Anwalt verstummte. Die Austern waren angekommen, schleimig glänzten sie in ihren Schalen, sie waren auf Eis angerichtet. »Max’ Mutter war keine Herzogin. Tatsächlich – wir können offen sein – war sie bei seiner Geburt nicht einmal verheiratet; sie war es auch die Jahre vorher nicht. Sie erzählte viele bunte Geschichten. Wahrscheinlich, weil sie Opium mochte.« Der Anwalt preßte eine Zitrone über den Austern aus, tippte dann die Schale an und ließ das Tier den Rachen hinuntergleiten. »Versuch es.«
Cyrus war zu hungrig, um nicht zu gehorchen. Es schmeckte fett und salzig. Er wußte nicht, ob er es mochte.
»Max’ Mutter steckte ihn als Kind in die Schmelzhütten zum Arbeiten, in Cripple Creek, in den Neunzigern«, sagte der Anwalt. »Von seinem Lohn versteckte er soviel er nur konnte. Und als er alt genug war, um seine Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen, war er in der Lage, das zu tun, was du nun so eifrig anstrebst.«
»Was?«
»Theorie mit Praxis verbinden.« Der Anwalt wischte sich mit der schweren weißen
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