Unternehmen Vendetta
»jetzt fällt es mir nicht ein.«
»Was fällt dir nicht ein?«
»Eine Szene zu machen, mich darüber lustig zu machen, was ein Mann tun muß. Ich drohe nicht damit, wieder nach San Diego zu ziehen oder sonst etwas zu tun. Ich kann dich ganz einfach nicht hindern.«
»Nein. Und?«
»Ich habe nicht mal Lust, es zu versuchen. Das ist das Lustige. Ich finde mich gehorsam und lieb damit ab, oben im Turm zu sitzen und mit meinen Fahnen zu winken, wenn die Ritter die Burg verlassen. Und dann soll ich dasitzen und warten und züchtig und besorgt sein, und damit finde ich mich ab, und das kapiere ich nicht. Das ist doch wie im Mittelalter.«
»Das ist deine mexikanische Herkunft, die dich endlich eingeholt hat«, lachte er. »Viva Zapata! Viva la Revolución!«
»Halte deine Gringo-Pfoten von meiner Herkunft fern«, lachte sie, und damit hatten beide das Gefühl, als wäre das Gesprächsthema weggeweht. Sie erkannte sehr wohl, daß er die Bedeutung seiner Reise nach Palermo zu verdrängen versuchte, aber sie ließ es geschehen. Sie achtete darauf, daß es geschah, aus reiner Selbsterhaltung.
Er hatte sich zurückgelehnt und sah sie mit glitzernden Augen an. Sie hatte die Haare zu ihrer Lieblingsfrisur mit einem dicken Zopf zusammengesteckt, der ihr auf den Rücken hing, womit sie die Mexikanerin in sich betonte. Hier und da funkelte ein vereinzeltes graues Haar in der schwarzen, glänzenden Mähne, und er versuchte sich vorzustellen, wie sie in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen mochte. Er war überzeugt, sie auch dann noch genauso schön zu finden, für immer oder bis der Tod sie schied.
Luigi hatte während der ganzen Mahlzeit gespürt, wie die Angst immer stärker wurde. Es war alles etwa genauso geworden, wie er es vorhergesehen hatte. Das große lateinische Familientreffen mit den ererbten venezianischen Gläsern, mit dem goldgeränderten Festtagsporzellan, das man sonst nie auf den Tisch zu stellen wagte, die ganze verdammte Verwandtschaft, nein, die ganze geliebte Verwandtschaft, korrigierte sein italienisches Ich das Urteil seines schwedischen Ichs, die munter plaudernd vorgebrachten Pläne, schon am nächsten Tag auf den Landsitz der Familie zu fahren, und dann natürlich noch die aparte kleine schwedische Einlage, als sein Vater unter allgemeiner Heiterkeit mit einem Löffel gegen sein Glas klopfte und eine Rede hielt, wie es Schweden bei allen möglichen Anlässen tun. Und selbstverständlich ging es in der Rede des Vaters um die Heimkehr des verlorenen Sohnes, von der lichten Zukunft der Computertechnik, von dem langen, steinigen Ausbildungsweg bis zu einem MA in EDV, von den Vorzügen, die es mit sich bringe, Schwedisches und Italienisches in sich zu vereinigen, um die schwedische Fähigkeit, sich so lange von seiner Familie fernzuhalten, um die Erfordernisse der Zukunft zu erfüllen, um die italienische Fähigkeit, die Familie zusammenzuhalten, um den Jüngling, der abgereist und als erwachsener Mann heimgekehrt sei.
Luigis Vater sprach ein annehmbares Italienisch, verhedderte sich jedoch immer, wenn er feierlich werden sollte. Da er auf schwedisch dachte und beim Sprechen nach und nach übersetzte, gelang es ihm, ein paar prachtvolle Fehlleistungen zustande zu bringen, die bei der Verwandtschaft von Zeit zu Zeit erstaunte Heiterkeit erregten, beispielsweise wenn er statt von dem verlorenen Sohn von dem verlobten Sohn sprach.
Einen Straßenblock weiter stand ein vollbeladener Citroën-Kombi aus Wellblech. Am nächsten Morgen würde Luigi abreisen, ohne sagen zu können, wohin oder warum oder für wie lange. Dabei war er nicht mehr als vierundzwanzig Stunden zu Hause gewesen. Und ein Ausweg war ihm bisher auch nicht eingefallen. Carl hatte als Schwede nicht verstanden, welche Komplikationen einer Erklärung etwa des Inhalts folgen würden, er reise ab, um seine große Liebe zu treffen. Er überlegte, ob er seine Eltern beiseite nehmen und ihnen ganz einfach sagen würde, wie es sich verhielt. Nun ja, fast die ganze Wahrheit, jedoch kaum, daß er nach Palermo wollte, um auf die Mafia Jagd zu machen. Wie kühl und beherrscht seine Mutter in ihrer Rolle als Unternehmenschefin auch sein mochte, konnte sie sich dennoch blitzschnell in eine italienische Mutter verwandeln, wenn sie so etwas erfuhr.
Früher oder später würden sie doch erfahren, daß er bei den schwedischen Streitkräften angestellt war und kaum eine Karriere vor sich hatte, jedenfalls keine der Art, wie sie ihnen vorschwebte.
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