Unternehmen Wahnsinn
auf dem Schreibtisch liegt, dann weichen für einen Moment alle Sorgen und Plagen. Ist es nicht großartig geworden? Diese Anmutung! Haben sich die Mühe und der Ärger nicht doch irgendwie gelohnt? Es ist das selige Gefühl, etwas geschafft zu haben: etwas mit Händen anfassen zu können, etwas durchgestanden und nicht aufgegeben zu haben. Alles ist gut in diesem Moment. Was immer aus der Kampagne noch werden wird – oder auch nicht, denn erste Erschöpfungsmerkmale zeigen sich bereits, und der Aufmerksamkeitsfokus wichtiger Schlüsselfiguren beginnt sich schon zu verschieben – mit diesem Flyer ist etwas real und anfassbar geworden. (An dieser Stelle sei angemerkt: Gutes Design ist natürlich hohe Denk- und Gestaltungskunst, es steckt viel Kompetenz darin und die große Bedeutung sinnfälliger Symbole ist unbestritten. Allein: Symbole sind nur dann Symbole, wenn sie auf etwas hinweisen. Inzwischen aber ersetzen sie zu oft das, worauf sie hinzuweisen vorgeben. Sie verweisen nur noch auf sich selbst und verlieren damit ihre Bedeutung.)
Es tritt auf: die Powerpointfolie
Eine der wichtigsten (Neben-)Darstellerinnen in diesem Zusammenhang von Haupt- und Nebensachen muss einen eigenen Auftritt bekommen: die Powerpointfolie. Sie ist eine Diva und will entsprechend hofiert werden. Es ist ihr egal, welchen Text sie zu sprechen hat (gerne weniger als mehr, manchmal auch gar keinen), aber es ist ihr definitiv nicht egal, wie sie aussieht. Es gibt einen eigenen Diva-Kodex. Anzahl, Größe und Farbkombinationen ihrer Garderobenteile sind streng reglementiert. Sie kennt sich aus und weiß, sich vorteilhaft zu kleiden. Die Schleife mit der wunderbaren Zukunftsperspektive zum Beispiel befindet sich selbstverständlich immer rechts oben im Haar, niemals links oben oder gar links unten, am Hüftspeck sozusagen. Die unschönen Kurven von links unten werden nach rechts oben zur Zukunft hin wunderbar ins Positive verwandelt. Die Diva ist mit Recht so empfindlich, weil sie allzu oft beleidigt und wieder weggeschickt wurde aus den Zimmern der Entscheider. »So geht die mir nicht aus dem Haus!«, hallt es noch lange in ihrem Ohr, wenn der Beamer längst erloschen ist. Nicht dass sie etwas Falsches gesagt hätte – es hört ihr ohnehin kaum einer zu – nein, weil sie »unmöglich« aussah. Schwierig ist dabei natürlich, dass die Vorlieben der Herren und Damen Entscheider unterschiedlich ausgerichtet sind. In der Regel orientiert sich die Diva deswegen am Geschmack des Wichtigsten der Wichtigen. Aber bis sie das herausgefunden hat (erstens wer der Wichtigste ist, zweitens welchen Geschmack er hat), muss sie sich bis zu fünf Mal am Tag umziehen. Sie will sich zu den Verabredungen ja nicht verspäten und hat schon mal – aus Gründen der Sicherheit – ein paar Ersatzkleider in anderen Farbtönen im Backup-Case dabei. Die Mühe hat sich gelohnt, wenn sie schon bei ihrem Auftauchen den Blick des Betrachters an sich ziehen kann. Und er tatsächlich ein paar Sekunden still auf ihr ruhen bleibt. Dann weiß sie, sie hat alles richtig gemacht. Dann erübrigt sich jedes Wort. Sie bleibt noch einen Atemzug lang stehen, bevor sie mit einem Lächeln entschwindet.
Naive und in diesem Business noch unerfahrene Menschen mokieren sich bisweilen über diese aufwendigen Modeschauen und finden, man könne doch einfach sagen, was man meine, ohne viel Tamtam. Mitleidig lächelt da die Diva: Nein, das kann man eben nicht. Das wäre peinlich, um nicht zu sagen obszön. Man stelle sich vor: splitternackt im Meeting!
Die Folgen: das Primäre gerät aus dem Blick
Die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf das Sekundäre ist alltäglich geworden im Organisationsleben. Die Tagesordnung einer Konferenz kann bis zum Bersten voll sein mit komplizierten Themen – und die Teilnehmer bringen es fertig, beim erstbesten Punkt hängen zu bleiben, in der Regel an einer kleinen nachrangigen Frage, die aber so beschaffen ist, dass alle eine Meinung entwickeln und sich wie entfesselt in die Diskussion werfen. Auch wenn oder gerade weil es nur um die veränderte Mittagskarte der Kantine oder um das Giveaway auf der nächsten Messe geht. Ob aus Erschöpfung über die großen (unlösbaren) Fragen oder aus Kalkül (damit der heikle Punkt x nicht mehr zur Sprache kommt) oder aus Freude, endlich auch mitreden zu können, oder weil es ohnehin folgenlos bleibt, was auf dieser Konferenz beschlossen wird – die Nebensachen sind beliebt.
Sie werden immer beliebter und damit
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