Unternehmen Wahnsinn
hoffnungslos überflüssig und gerät sofort wieder in Vergessenheit. Heute kann kein Chef die Ursprungsprofessionen seiner Mitarbeiter auswendig aufsagen. Was nicht daran liegt, dass er gerade mal wieder die Abteilung gewechselt hat; auch nicht an mangelnder Wertschätzung; sondern schlicht daran, dass das Ursprungsprofessionelle immer irrelevanter wird. Erworbenes Können ist nicht nur rasant schnell veraltet, sondern behindert oft genug neue Verfahrensweisen.
Auch das schöne alte Wort »Beförderung« ist nicht mehr das, was es einmal bedeutete. Dereinst erzählte es von einem erreichten höheren Leistungsniveau, das sich dauerhaft in die organisationale Struktur eingraviert. Dieser Zusammenhang ist so gut wie weg. Beförderung bezeichnet heute einfach zu oft die Verschickung von Managern in solche Ecken des Konzernuniversums, wo sie nach Meinung der aktuell Maßgeblichen erst einmal keinen Schaden mehr anrichten. Sie bedeutet damit faktisch ihre Entsorgung.
Symptom 3: Das Sekundäre schiebt sich über das Primäre
Es treten auf: Farb- und Stilfragen, faltblättrige Identitätsstifter und eine Diva: die Powerpointfolie
Nebensachen bleiben nicht unbedingt nebensächlich. Manche werden ganz schön wichtig. Fußball war bekanntlich einmal
die schönste Nebensache der Welt. Sie hat sich zu einer phänomenalen Hauptsache gemausert. Nicht nur die massive wirtschaftliche Kraft macht den Fußball zu einem Dominanzfaktor sondergleichen. Auch seine gesellschaftlich und kulturell prägende Rolle ist unbestritten. Der Weltmeisterschafts-Sommer 2006 verhalf Deutschland sogar – zumindest zeitweise – zu einer fröhlichen Identität.
Von diesen gewichtigen Vorteilen einmal ganz abgesehen, lebt und fiebert der Fußballfan wöchentlich mit seiner Vereinsmannschaft, freut sich über einen Sieg oder verurteilt Spieler oder Taktik nach einer Niederlage.
Nichts gegen Nebensachen also, sie machen das Leben spannend, strukturieren den Alltag und sind immer für ein Gesprächsthema gut. Auch im Büro.
Wo und was ist der Kern?
Zweifellos ist es nötig, über die Farbe eines Kampagnenflyers nachzudenken. Genauso muss entschieden werden, welche Bestuhlung für die diesjährige Klausurtagung geordert werden muss oder ob im Großraumbüro Raumaufteiler aufgestellt werden sollen. Dennoch würde man erst einmal davon ausgehen, dass eine Kampagne und ihre Leitidee selber wichtiger sind als ihr Flyer und dass die Agenda der Klausurtagung relevanter für das Geschäft ist als die Wahl der Sitzmöbel. Die Form sollte doch der Funktion folgen. Immer öfter ersetzt sie sie. Debatten über die Form überlagern oder verdrängen die über den Inhalt.
Ein harmloser Flyer – ursprünglich ein nachgelagertes Medium zur Unterstützung der Zentralmaßnahme – kann zum Mittelpunkt eines bizarren Beschäftigungsmarathons werden, der Wochen und Monate andauert. Beteiligt und behelligt sind Unzählige: die Mitglieder der Projektgruppe, die interne Kommunikationsabteilung, eine externe Agentur, der Bereichsleiter, in dessen Zuständigkeit die Kampagne inzwischen gewandert ist, der Top-Manager, der die Kampagne promotet und dessen Statement im Flyer auftauchen soll (und deswegen auch seine Pressesprecherin). Diese und mehr entwerfen oder machen Vorschläge, haben Variationswünsche, empfehlen, insistieren, legen Vetos ein, senden Kriterien-Listen, erarbeiten alternative Versionen, überarbeiten und lassen überarbeiten.
Nicht selten verhält sich der Grad der Umsetzung beim Kernanliegen umgekehrt proportional zum Aufwand, der getrieben wird, um einem an sich eher nebensächlichen Flyer Form und Farbe zu geben. Der Verdacht liegt nahe, dass nicht gelöste Konflikte in der Hauptfrage sich auf den Nebenschauplatz des Designs verlagert haben. Aber gerade weil die Hauptfragen nicht beantwortet werden, muss umso dringlicher ein anderer Erfolg her: Wenigstens in der Wahl der Farbe soll eine Einigung hergestellt werden, die gut aussieht, damit vorzeigbar ist und Entlastung schafft.
Ein Faltblatt als Identitätsstifter?
Bei Farb- und Stilfragen ist es wie im Fußball – alle können mitreden und wissen Bescheid. Und wie eine schwungvoll aufspielende Fußballmannschaft das nationale Gefühl für einen Sommer in Schwingung bringt, so wird ein Flyer zum identitätsstiftenden Merkmal einer großen Zahl von Mitarbeitern mit ihrem Projekt. Denn wenn endlich nach Wochen des zermürbenden Hinundhers an diesem Faltblatt das frisch gedruckte Teil in der Hand oder
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