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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Antilopa (?). 18.00 Uhr Abendessen. 21.00 Messe. Danach ins Bett, weil wir um 3 Uhr früh auf den Kreuzberg gehen.
    »Und jetzt um 21 Uhr findet drüben eine Anbettung statt, das schaffen wir, denn wir brauchen keine 5 Minuten hin.«
    Was? Was findet statt? Ingo weiß auch nicht, was das ist. Ich konsultiere die intelligente Frau neben mir und kriege immerhin heraus, dass es sich offenbar um eine Freiluftveranstaltung hinter der Kirche handelt, weil die Besucher im Inneren nicht alle Platz hätten.
    Der Liliputaner erkundigt sich, ob wir das Gepäck morgen bis mittags im Zimmer lassen dürfen, was ich für eine vernünftige Frage halte. Der Reiseleiter sagt selbstverständlich, das Gepäck bleibt im Hotel bis zur Übersiedelung. Kurz darauf scharren alle mit den Stühlen, die meisten drängen Richtung Ausgang, ein paar wollen sich umziehen, ehe sie zur Kirche gehen.
    Ingo und ich verständigen uns stumm, die rätselhafte Anbetung auszulassen. Vor der Tür steckt er sich eine Zigarette an. Mittlerweile ist es dunkel, nur die Auslagen leuchten grell, und von überall her mahnen Kreuze. Ein wenig fühle ich mich wie in der Kulisse für einen Vampirfilm. Ingo geht schweigend neben mir her, seine Kameratasche über der Schulter. Unter einer Laterne sehe ich, wie es in seinem Gesicht zuckt.
    An der Hauptstraße wenden wir uns nach rechts. Auf beiden Seiten der Straße gibt es das Gleiche zu sehen, nämlich eine ungeordnete Abfolge von Souvenirläden und Lokalen, wobei die Souvenirläden erheblich überwiegen. Das Angebot ändert sich nicht wesentlich, es werden alle denkbaren Varianten von Gospagesichtern feilgeboten. Das heißt, so stimmt das nicht, ihr Gesichtsausdruck ist immer gleich, er soll wohl etwas ausstrahlen, was manche Leute als gütig bezeichnen würden. Was sich ändert, ist nur das Material. Gips, Ton, Leinwand, Plastik, Porzellan, Papier, Stoff, sogar eine Kartongospa entdecke ich an einem Stand.
    Ingo scheint das alles mit professionellem Interesse zu betrachten, ich halte bloß Ausschau nach einer akzeptablen Kneipe. Nachdem wir einmal die Hauptstraße rauf- und wieder runtergegangen sind, brechen wir auf den Stühlen des Restoran Pivnica neben der Kirche zusammen. Es macht eher den Eindruck eines örtlichen Zentrums für Touristenabfütterung, aber immerhin hat man von hier eine gute Sicht auf alles, was sich rund um die Kirche abspielt.
    Ich bin so kaputt, dass ich nicht einmal zur Karte greifen kann. Der Kellner kommt. Er sagt nicht muh, nicht mäh, sondern steht nur da und schaut mürrisch über uns in die Luft. Wir bestellen Kaffee.
    »Sag mal, wie heißt die Frau, bei der es morgen den Vortrag gibt?«, frage ich.
    »Ich habe den Namen nicht verstanden, aber es war etwas ziemlich Absurdes.«
    »Gehst du übermorgen auf den Kreuzberg?«
    »Hab ich einen Vogel?«
    »Was ist mit dir los?«, frage ich. »Bist du sauer?«
    »Nein, nur müde.«
    »Vergiss die Perseiden nicht!«
    »Was? Ach so, die Sternschnuppen. Die sind mir aber so was von egal.«
    »So, jetzt schalte mal dein Handy aus und wieder ein.«
    »Hab ich schon gemacht, hat nichts gebracht.«
    » SIM -Card raus.«
    »Sehr witzig. Dazu brauchst du eine Büroklammer. Hast du etwa eine Büroklammer bei dir?«
    »Natürlich habe ich eine Büroklammer bei mir.« Ich greife in meine Geldbörse. »Die einen haben immer Kondome dabei, die anderen Kosmetikartikel, ich Büroklammern. Hier, siehst du, gleich neben …«
    Ingo reißt mir die Klammer aus der Hand und beginnt zu werken.
    Um noch einen Kaffee zu kriegen, muss ich in das Lokal hineingehen, denn von selbst begibt sich keine Bedienung an unseren Tisch. Ich fühle mich mehr ohnmächtig als wach, aber ins Bett will ich auch noch nicht, erstens möchte ich die Atmosphäre so weit aufnehmen, dass ich mir sicher sein kann, sie nicht nach ein paar Wochen wieder zu vergessen, zweitens lasse ich mir ganz bestimmt keinen Perseidenschauer entgehen.
    »Es funktioniert!«, schreit Ingo. »Ich habe Empfang!«
    »Das ist schön«, sage ich und stecke meine Büroklammer wieder ein, während Ingo sich erleichtert daranmacht, Tanja eine SMS zu schreiben. Ich will auch eine verschicken, aber nun habe ich keinen Empfang. Das Spiel mit der Büroklammer wiederholt sich mit meinem iPhone, dann bin ich wieder telekommunikationsfähig.
    Manchmal gleiten Zeit und Dinge an mir vorbei. Ich gehöre zwar dazu, aber ich nehme nicht teil am äußeren Geschehen. So ist es nun, es geschehen Dinge, es vergeht Zeit, und ich habe

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